aus der Geschichte

Pfarrer Wilhelm Kaltenbach – Junger Vikar rettet Waldshut

Pfarrer Wilhelm Kaltenbach – unser Präses bei der 60-Jahr-Feier 1967.

In der Ausgabe Nr. 7 der “Waldshuter Chilbi” vom 16. August 2002 war zu lesen:

Der Pfarrer Wilhelm Kaltenbach – Junger Vikar rettet Waldshut
von Christian Ruch

Auch wenn im Mittelpunkt der Waldshuter Chilbi der glückliche Ausgang der Belagerung durch die Eidgenossen im Jahre 1468 steht, so wird an diesem Fest eigentlich aller Notlagen gedacht, die glücklich abgewendet werden konnten. Einer, der dazu nicht unwesentlich beitrug, war Wilhelm Kaltenbach, ein junger katholischer Pfarrer.

Wilhelm Hermann Kaltenbach wurde am 30. Juni 1912 in Freiburg geboren. Seine Eltern Hermann und Lisette, geborene Wehrle, waren fromme Katholiken. Bis zur zweiten Klasse wuchs er in der Schwarzwaldgemeinde Gütenbach auf, danach besuchte er Freiburger Schulen. Nachdem er 1932 am Berthold-Gymnasium das Abitur bestanden hatte, begann er – ebenfalls in Freiburg – sein Theologiestudium. 1937 wurde er zum Priester geweiht und erhielt eine Vikariatsstelle in Oberwinden im Elztal.

Schwere Stunden

Ein Jahr später kehrte er nach Freiburg zurück und wirkte dort ebenfalls als Seelsorger, ehe er nach Waldshut gesandt wurde. Dort wirkte er ab Dezember 1941 und teilte mit den Waldshutern die schweren Stunden der Kriegs- und Besatzungszeit. Als die französische Armee am 25. April 1945 in Waldshut einrückte, glaubten die Waldstadtbewohner, das Schlimmste überstanden zu haben. Doch zahllose Plünderungen und Vergewaltigungen versetzten sie in den ersten Tagen der französischen Besatzung in Angst und Schrecken. Zudem hatte das Alliierte Oberkommando beschlossen, eine fünf Kilometer breite Zone entlang der Schweizer Grenze komplett zu evakuieren.

In Waldshut sollten nur Bürgermeister Hermann Dietsche und eine Handvoll Bürger zurückbleiben, um nach dem Rechten zu sehen. Für Dietsche und Landrat Waldemar Ernst, die Anfang Mai als erste von dem Plan erfuhren, war die Vertreibung von beinahe 8000 Einwohnern eine Horrorvorstellung. Sie kamen zu dem Schluss, dass jetzt nur noch die katholische Kirche helfen konnte – sie war die einzige noch überregional funktionierende und darüber hinaus moralisch nicht diskreditierte Institution in Deutsch­land.

Sie berieten sich mit Stadtpfarrer Oskar Tröndle und beschlossen, den Freiburger Erzbischof Conrad Gröber einzuschalten. Doch da alle Verkehrs-, Post- und Fernsprechverbindungen unterbrochen waren, stellte sich die Frage, wie Gröber überhaupt von der drohenden Evakuierung erfahren sollte.

So schlug die große Stunde des jungen Vikars Wilhelm Kaltenbach. Er besaß ein altes Motorrad und wurde beauftragt, sich nach Freiburg durchzuschlagen, um Gröber zu informieren. Ausgestattet mit den letzten Benzinreserven der Stadt und Laissez-passer-Bescheinigungen der französischen Besatzungsbehörden, machte er sich auf seine später fast zu einer Legende gewordenen Reise. Sein Priestergewand und die Dokumente verhalfen ihm tatsächlich dazu, alle Kontrollpunkte problemlos passieren zu können. Schwierigkeiten bereiteten ihm jedoch die vielerorts zerstörten Strassen: das Höllental war unpassierbar, sodass der junge Pfarrer über das Simonswälder- und das Elztal ausweichen musste. Schließlich traf er wohlbehalten in Freiburg ein, wo Erzbischof Gröber sofort aktiv wurde; er informierte seinen Straßburger Amtskollegen Weber, der seinerseits bei den Alliierten intervenierte. Mit Erfolg: der Evakuierungsplan wurde fallengelassen. Die Stadt dankte Gröber für seine Bemühungen und benannte den Platz zwischen Seltenbachbrücke und Bismarckstraße nach ihm. Was den Waldshutern erspart geblieben war, zeigte sich kurze Zeit später im so genannten „Jestetter Zipfel”, wo die Evakuierungspläne in die Tat umgesetzt wurden und die Bewohner vorübergehend ihre Gemeinden verlassen mussten.

Wilhelm Kaltenbach blieb noch bis 1949 am Hochrhein. Die Waldshuter schätzten ihn nicht nur wegen einer fast heldenhaft anmutenden Motorradfahrt nach Freiburg, sondern auch und vor allem wegen seines Eifers in der Seelsorge und für seinen Humor. Dabei war er durchaus zu derben Späßen aufgelegt: betrat er ein Haus, stellte er beispielsweise gerne im Flur die Gasuhr ab und amüsierte sich über das verdutzte Gesicht der gerade am Herd stehenden Hausfrau, oder er packte eines ihrer Kinder an den Ohren und setzte es auf den nächstbesten Schrank.

Von Waldshut ging Kaltenbach in die Hotzenwaldgemeinde Strittmatt, ehe er ab 1953 in Bad Griesbach im Renchtal wirkte, wo er 1962 endlich seine erste eigene Pfarrei erhielt. Auch dort ging er eifrig ans Werk, indem er die Renovation der Kirche in Angriff nahm.

Vier Jahre später übernahm er die Pfarrei in Elzach. Hier ließ er das Pfarrhaus umbauen, eine Kapelle im benachbarten Biederbach errichten, die Neulinden-Kapelle erneuern und in Prechtal einen Kindergarten eröffnen. 1973 erlitt der beliebte Priester einen leichten Schlaganfall und musste drei Jahre später wegen Herzinsuffizienz in den Ruhestand treten. Doch auch danach wirkte er noch als Seelsorger, half in der Elzacher Nachbarpfarrei Yach aus, hielt wöchentliche Krankenhaus-Gottesdienste und nahm den Gläubigen die Beichte ab. Am 21. Januar 1981 erlag er unerwartet einem Herzversagen.

Neben Erzbischof Gröber ist Wilhelm Kaltenbach heute leider etwas in Vergessenheit geraten; Gröber hätte sich jedoch nie für Waldshut einsetzen können, wenn sich Kaltenbach nicht auf die riskante Reise nach Freiburg gemacht hätte. Beide haben sich um Waldshut verdient gemacht, und sich ihrer dankbar zu erinnern – dafür bietet die bevorstehende Chilbi Gelegenheit.

Die Bilder sind von der 60-Jahr-Feier der Kolpingsfamilie Elzach am 12. November 1967.