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Kolpingsfamilie

Hochheim

Portrait Adolf Kolping
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Rückblick: Vortrag "Christen im Irak"

veröffentlicht am

Nabil Isleiwa stammt aus Bagdad und lebt seit sechs Jahren mit seiner Familie in Hochheim. Er besucht regelmäßig den Gottesdienst in der katholischen Kirche, seine Kinder sind Messdiener. Die Familie ist katholisch ? allerdings chaldäisch-katholisch. Bei der Taufe eines seiner Kinder wurde der Vorsitzende der Kolpingfamilie Heinz Schlosser darauf aufmerksam und lud Nabil Isleiwa ein, von seiner Konfession und der Situation der Christen im Irak zu berichten. Zur Unterstützung war eigens aus München auch der jüngere Bruder Awakem Isleiwa angereist, der mittlerweile ständiger Diakon in seiner Kirche ist.
Beide referierten zunächst zur Geschichte des Christentums im Irak, dem antiken Mesopotamien. Hier hat schon der Apostel Thomas auf dem Weg nach Indien missioniert. 636 wurde der Irak von den Arabern erobert, die den Christen gegenüber zunächst tolerant waren. Die hohe Bildung der Christen wie ihre Dreisprachigkeit (syrisch, aramäisch, griechisch) nutzten die Araber, um z.B. Bücher zu übersetzen. Die arabische Fachliteratur in Medizin etwa, die über Spanien nach Europa kam, war von irakischen Christen übersetzt. Im 9. Jh. blühte das Christentum im Irak mit 220 Bistümern. Schlimm erging es ihnen dann unter der mongolischen Gewaltherrschaft, die im 14. Jh. zur Verwüstung von Bagdad führte. Auch unter der anschließenden osmanischen Herrschaft kam es zur Zerstörung von Kirchen und Klöstern, Verbrennung von Christen und Vergewaltigung von Nonnen. Im 1. Weltkrieg eroberten die Briten das Land und gründeten den modernen Irak. Unter den Briten erfuhren die Christen eine ähnliche Wertschätzung und Toleranz wie unter den Arabern.
Die chaldäische Kirche entstand 1553 durch die erste Spaltung der Ostkirche auf Initiative von syrischen Kapuzinern. 1968 wurde durch eine weitere Spaltung die assyrische Kirche gegründet. Neben der vom Papst anerkannten chaldäisch-katholischen Kirche gibt es heute im Irak vor allem syrisch-katholische, syrisch-orthodoxe, armenisch-orthodoxe, armenisch-katholische, griechisch-orthodoxe und lateinische Christen, am Wachsen ist die Freie Evangelische Kirche. 1900 noch machten die Christen 25 % der irakischen Bevölkerung aus, vor 2003 gab es noch 2 Mio Christen. Das Regime von Saddam Hussein war Christen gegenüber grundsätzlich positiv eingestellt. Seit dem Ende des Regimes, ab 2003, sind die Christen im Irak, die sich zumeist in den Norden des Landes zurückgezogen haben und dadurch auch in die Auseinandersetzungen mit den Kurden einbezogen sind, den Angriffen islamistischen Terrors ausgesetzt. Durch Bombenattentate kommen auch heute noch fast täglich Christen ums Leben. Mittlerweile leben nur noch ca. 400.000 Christen im Land. Eine Ausreise ist ihnen momentan nicht mehr möglich, da ihnen kein Visum ausgestellt wird.
Auch der Lebenslauf von Nabil Isleiwa war überschattet von den politischen Verhältnissen. Um einem lebensbedrohenden Kriegseinsatz zu entgehen, arbeitete der Chemie-Ingenieur in den 80er Jahren mit einem staatlichen Vertrag fast ohne Gehalt 12 Stunden täglich. Da sein Vater früh gestorben war, musste er die ganze Familie ernähren und arbeitete zusätzlich mit Verwandten zusammen in einem Laden. Mit seiner Frau wollte er im Irak keine Kinder großziehen, und floh zu Fuß ? sein Auto war konfisziert – über die Türkei nach Deutschland, wo er zunächst in München, dann in Hattersheim wohnte, bevor er nach Hochheim zog, wo er sich mit seiner Familie sehr wohl fühlt. Seine Schwester lebt in einem Kloster in Rom, wo die Hochheimer Kolpingfamilie zur Seligsprechung Adolph Kolpings wohnte, wie sich im Gespräch herausstellte. Sein Bruder Awakem strebt nach der Diakonweihe auch das Priesteramt an. Die chaldäische Kirche hat Bistümer in der Diaspora in den USA, im Iran, in Europa und der Türkei ? bald mehr Bistümer als Gläubige, wie Awakem Isleiwa schmunzelnd meint. Sie hat enorme Reformen in den letzten Jahren auf den Weg gebracht, da sie mit ähnlichen Problemen wie die römisch-katholische zu kämpfen hat. Diakonen und Priestern ist jetzt die Heirat erlaubt, sofern sie vor der Weihe erfolgt. Er fragte die anwesenden Hochheimer, wie sie die Zukunft ihrer Kirche in Europa einschätzten, was vor allem vor dem Hintergrund der Erfahrungen und Glaubensstärke der Familie Isleiwa Grund zum Nachdenken gibt …

Foto: Privat