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Hochheim

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Armut in Hochheim - (k)ein Thema?

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Armut ist in Deutschland ein Tabu-Thema ? und deshalb machte sie sich die Kolpingfamilie Hochheim zum Thema. Auf Einladung des Vorsitzenden Heinz Schlosser referierten Rita Kranz, Leiterin des Fachbereichs Jugend, Senioren und Soziales der Stadt Hochheim, und Nicola Sehr vom Main-Taunus-Kreis. Den interessierten Zuhörern hielt Rita Kranz vor Augen, dass die Armut in Deutschland, wo etwa jeder 6. Einwohner als arm gilt, größer ist als z.B. in Slowenien. Eine Reihe von Ländern steht besser da als unseres, obwohl ihre Wirtschaftskraft schwächer ist.
In Industrieländern herrscht weniger absolute als relative Armut. Als absolut arm gilt, wer weniger als 1,25 US-Dollar täglich zum Leben zur Verfügung hat. Bei relativer Armut liegt das Einkommen deutlich unter dem Durchschnittseinkommen des Landes.
Arme sind von einer Lebensweise ausgeschlossen, die als annehmbares Minimus angesehen wird. Die EU-Armutsgrenze, nach der z.B. die Tafel berechnet wird, liegt bei 11.840 ? pro Person per anno, was 987 ? monatlich entspricht.
Nicola Sehr stellte Zahlen und Fakten des Sozialberichts des MTK 2011 vor (die Zahlen von 2012 sind noch nicht in einem Bericht erfasst). Bei 16.957 Einwohnern waren in Hochheim 864 Kunden leistungsberechtigt nach dem SBG (Sozialgesetzbuch). Die Hochheimer Quote von 5,1 % liegt dabei etwas höher als die des MTK mit 4,8%. Genauer betrachtet wurden Leistungsberechtigte nach SBG II und XII: die Menschen, die Arbeitslosengeld II erhalten bzw. die, denen eine Grundsicherung zusteht, wenn Rente nach 65 Lebensjahren oder Einkünfte aus Erwerbsminderung nach 18 Lebensjahren nicht ausreichen.
Auch auf das Bildungs- und Teilhabepaket für bedürftige Kinder gingen Rita Kranz und Nicola Sehr ein, bei dem sich leider ein sehr hoher bürokratischer Aufwand negativ auf die Antragstellung auswirkt. Am häufigsten wird der persönliche Schulbedarf bezahlt, gefolgt von den Mittagessen und mehrtägigen Klassenfahrten. Dagegen wurden Leistungen für die soziale und kulturelle Teilhabe, wie Vereinsbeiträge nur gering in Anspruch genommen. Hier wurde auch an die Zuhörer die Frage gestellt, wie man in unserer Kommune an betroffene Menschen herankommen kann.
Rita Kranz führte aus, dass es ein langer Prozess ist, bis es zur Armut kommt. Und hier kann jeder/r einzelne sich aufgefordert fühlen, einen Ressourcen-orientierten Blick auf Armut zu entwickeln, das heißt zu schauen, wie man sozial vereitelte Ressourcen in Vereinen, in der Familie, bei Mitschülern, im Umfeld reaktivieren kann. Gibt es nicht nur Einzelmaßnahmen, sondern systematische bzw. konzeptionelle Vorgehensweisen, ganze Strukturen, die man zusammenführen kann? Rita Kranz verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass man Netzwerkarbeit in unserer Kommune intensivieren kann, sich am runden Tisch zusammensetzt und austauscht.
Ursachen von Armut können vielfältig sein und weiten sich zunehmend auch auf die gesellschaftliche Mittelschicht aus: schlechte oder keine Bildungsabschlüsse, Arbeitslosigkeit, Krankheit, niedrige Löhne oder befristete Arbeitsverträge, niedrige Renten, finanzielle Notlagen durch z.B. Steigerung der Energiepreise oder familiäre Veränderungen wie Trennung. In unserer Leistungsgesellschaft bedeutet das für die Betroffenen häufig Ausgrenzung und Isolation und damit fehlendes Selbstbewusstsein.
Rita Kranz berichtete, dass ein enges Netzwerk verschiedener Hochheimer Institutionen oft schnelle unkomplizierte Hilfe ermöglicht, wie private Spender oder Stiftungen, z.b. die Petra-Lustenberger-Stifung oder die MTK-Stiftung. Es gibt die Tauschbörse der katholischen Gemeinde, die Hausaufgabenhilfe des ökumenischen Sozialausschusses, den Secondhand-Shop, in dem man gut erhaltene Kleidung für Vorstellungsgespräche oder Wintermäntel für Senioren günstig erwerben kann. Hilfestellungen bietet auch die Nachbarschaftshilfe, die Weihnachtsaktion für benachteiligte Kinder oder Ermäßigung an städtischen Veranstaltungen. Auf Kreisebene gibt es die Hofheimer Tafel, an der auch Hochheimer Kunden teilnehmen, das Sozialkaufhaus ?Tisch und Teller? und Wohnungsberatung und Facheinrichtungen der Wohnungslosenhilfe.
Ganz konkrete Vorschläge für Lösungen, die wir selbst umsetzen können, stellte Rita Kranz zum Abschluss vor. Am wichtigsten sei die Wertschätzung für die Akzeptanz der Menschen, die sich selbst minderwertig fühlen, dazu gehört auch, mit Zivilcourage gegen Stammtischparolen vorzugehen. Wichtig ist ein Signalisieren, dass die Betroffenen nicht allein gelassen sind. Ehrenamtliches Engagement kann bei Bildung oder Ausbildung unterstützen. Und selbstverständlich bleibt, vor allem bei der zunehmenden Altersarmut wichtig, bezahlbaren Wohnraum zur Verfügung zu stellen.
Eine rege Diskussion schloss sich an die Ausführungen an.

Das Foto zeigt Rita Kranz (rechts) und Nicola Sehr (links).