Kolping und mehr ...

Geschichte des Kolpingwerkes 1901 bis 1933 1933 bis 1945 1945 bis 1971 1971 bis 1991 1971 bis 1991

Geschichte des Kolpingwerkes

Die Kolpingsfamilie von heute ist nicht mehr der Katholische Gesellenverein von einst. Das gegenwärtige Kolpingwerk weist in seinen Strukturen und Aktivitäten andere Akzente auf als der Verband in früheren Zeiten. Umso spannender ist es, sich mit der Geschichte des Verbandes eingehend auseinanderzusetzen.

1846 bis 1865

Gründung und Ausbau

Das Werk von Kolping

Adolph Kolping prägte die erste Phase des Kolpingwerkes: die Zeit von der Gründung des ersten Gesellenvereins in Elberfeld 1846 bis zu seinem Tode am 4.12.1865. In diesen wenigen Jahren entstanden mehr als 400 Gesellenvereine sowohl in Deutschland als auch in zahlreichen europäischen Ländern und in Nordamerika. Die rasche Ausbreitung des Katholischen Gesellenvereins zeigt, dass Kolpings Idee auf fruchtbaren Boden fiel. Denn er traf die spezifischen Bedürfnisse der jungen Gesellen nach allgemeiner, fachlicher und religiöser Bildung. Überdies boten die Gesellenheime vielen jungen wandernden Handwerkern eine familiäre Gemeinschaft und Heimstätte. So konnte Kolping in Zeiten bitterer Not das Elend der Gesellen lindern und ihre Chancen auf eine bessere Zukunft erhöhen. Mehr als hunderttausend junge Menschen hatten dann auch schon zu Lebzeiten Kolpings die “Schule” des Gesellenvereins durchlaufen und erfuhren wichtige Impulse für ihre Lebensgestaltung als tüchtige Christen.

Organisation

Adolph Kolping selbst war mit seinen zahlreichen Reisen, Reden und publizistischen Tätigkeiten der treibende Motor für die Ausbreitung seines Werkes. Die Gesellen taten das ihre dazu. Auf ihrer Wanderschaft trugen sie die Idee Kolpings in die Welt hinaus und gründeten vielerorts neue Vereine. Damit die Ausbreitung in geregelten Bahnen verlief, schuf Kolping verbindliche Grundlagen für das Werk. So schlossen sich auf seine Anregung hin bereits 1850 die ersten Vereine – Elberfeld, Köln und Düsseldorf – zum „Rheinischen Gesellenbund“, dem späteren „Katholischen Gesellenverein“ zusammen. Eine Satzung, die sog. Generalstatuten sollten verbindlich die Vereinsarbeit regeln. Diese wurden auf den Generalversammlungen des Verbandes von Zeit zu Zeit zur Diskussion gestellt und den jeweiligen Gegebenheiten angepasst. Kolping selbst sprach sich immer wieder aus für eine moderate Anpassung des Vereins an veränderte Umstände und Entwicklungen.
Die Generalversammlungen der Jahre 1858 und 1864 waren von besonderer Bedeutung. Hier wurden grundlegende Strukturen geschaffen, die im Kern bis heute bestehen. Seit dieser Zeit sind die lokalen Vereine, die sog. Kolpingsfamilien innerhalb eines Bistums in einem Diözesanverband zusammengeschlossen. Die Kolpingsfamilien bzw. Diözesanverbände innerhalb eines politisch selbständigen Landes bzw. Staates bilden einen Landesverband. Die Zentralverbände bilden zusammen das Internationale Kolpingwerk mit dem Generalpräses an der Spitze. Mit dieser Organisationsstruktur ist sowohl die enge Anbindung an die Kirche vorgezeichnet als auch die Berücksichtigung der politischen Verhältnisse. Die örtlichen Angelegenheiten der lokalen Gesellenvereine wurden in Ortsstatuten geregelt. Diese mussten konform zu den allgemeinen Bestimmungen des Generalstatuts sein.
 

 

    

Vereinsleben

Die Mitgliedschaft war ausschließlich auf ledige männliche Handwerksgesellen beschränkt. Verheiratete oder Selbständige konnten kein Mitglied sein. Fabrikarbeitern, die ein Handwerk erlernt hatten, stand der Eintritt offen. Wer Mitglied werden wollte, musste sich einer mindestens halbjährigen Probezeit unterziehen. Auch danach wurde auf regelmäßige Teilnahme am Vereinsleben geachtet. Die Mitglieder erhielten von Anfang an das Recht zur Wahl der Leitungskräfte. Als Mitgliedsausweis diente das sogenannte Wanderbuch. So konnten die wandernden Gesellen am Vereinsleben anderenorts teilnehmen. Eine Wanderordnung regelte die mit der Wanderschaft zusammenhängenden Fragen.
Kolping erwarb im Jahre 1852 für den Kölner Gesellenverein das erste Gesellenhaus. Andere Gesellenvereine sollten dem Kölner Vorbild folgen und nach Möglichkeit ebenfalls eigene Häuser anschaffen. Dies sollte nicht nur den wandernden Gesellen als Heimat dienen, sondern zugleich das Zentrum des Vereinslebens bilden. Trotz aller lokalen Unterschiedlichkeiten ähnelte sich das Vereinsleben vor Ort. Überall standen bei der Bildungsarbeit sowohl allgemeinbildende und berufsbezogene Themen wie auch die religiöse Bildung im Vordergrund. Ferner gab es Fachangebote für bestimmte Berufsgruppen. Trotz allem Ernst wurde Geselligkeit großgeschrieben. Als Freizeitaktivitäten dienten beispielsweise Theateraufführungen, Gesang und das Lesen von Büchern und Zeitschriften.

 

Meinungs- und Willensbildung

Adolph Kolping ruhte nicht, den Gesellenverein publik zu machen. Neben dem persönlichen Kontakt, dem Besuch von Konferenzen und Versammlungen maß er der Verbandspublizistik eine besondere Bedeutung zu. Bereits 1850 veröffentlichte er als Beilage zum „Rheinischen Kirchenblatt“ das „Vereinsorgan“. 1854 gründete er seine eigene Zeitschrift, die “Rheinische Volksblätter”, die zu einer der erfolgreichsten katholischen Presseorgane ihrer Zeit avancierte. Speziell für die Führungskräfte gab Kolping 1863 die „Mitteilungen für die Vorsteher der katholischen Gesellenvereine“ heraus. Diese zielgruppenspezifische Unterteilung von Mitglieder- und Führungskräftezeitschriften ist bis heute relevant, wenn auch im Laufe der Zeit vielfältige Änderungen vorgenommen wurden.

1865 bis 1901

Wachstum und Kontinuität

Kolpings Nachfolger

Nach dem Tode von Adolph Kolping trat sein Vertrauter Sebastian Georg Schäffer seine Nachfolge als Generalpräses an. In den 36 Jahren seiner Amtszeit bemühte sich Schäffer um die Bewahrung des Kolpingschen Erbes. Die Jahre und Jahrzehnte nach Kolpings Tod stehen dann auch im Zeichen von Wachstum und Kontinuität.

 

Der Verband wächst

Die Ausdehnung des Verbandes setzte sich ununterbrochen fort. Allerorts wurden Gesellenvereine gegründet, so dass bis Ende des 19. Jahrhunderts große Teile Europas mit einem Netz von Gesellenvereinen überzogen waren. Der Großteil der Gesellenvereine befand sich jedoch im deutschsprachigen Raum. Im Ausland waren die Gesellenvereine vielfach Treffpunkt und Heimat für die ausgewanderten deutschsprachigen Gesellen. Dies hängt damit zusammen, dass es damals in vielen europäischen Ländern kein katholisches Vereins- oder Verbandswesen gab.

    

Verbandsstrukturen

Die Gesellenvereine veränderten sich in diesen Jahrzehnten nicht wesentlich. Die Struktur des Verbandes blieb weitgehend erhalten, zumal das Generalstatut von 1864 für viele Jahrzehnte Gültigkeit besaß. Kleinere Änderungen ergaben sich in den 1880er Jahren mit der Herausbildung von Bezirksverbänden als Bindeglied zwischen der Diözesanebene und der örtlichen Gemeinschaft. In verschiedenen Vereinen entwickelten sich Zusammenschlüsse ehemaliger Mitglieder. Auch als Selbständige oder Verheiratete fühlten sie sich nach wie vor dem Verein verbunden. Ferner gab es verschiedene Ansätze, Lehrlinge mit einzubeziehen.
Ein weiterer Aspekt der Verbandsentwicklung ist der Ausbau der von Kolping selbst initiierten Selbsthilfeeinrichtungen wie die Spar- und Krankenkassen. Diese fanden in Zeiten fehlender sozialen Absicherung regen Zulauf. In den größeren Vereinen bildeten sich Ende des 19. Jahrhunderts Fachabteilungen. Dort wurden den Angehörigen verschiedener Berufszweige spezifische Weiterbildungsmöglichkeiten angeboten, die der Vorbereitung auf die Meisterprüfung dienten. Hier leistete der Katholische Gesellenverein ganzen Generationen von Handwerkern einen unersetzlichen Dienst für die berufliche Qualifizierung. Damit erhöhten sich auch ihre Chancen auf eine bessere Zukunft.
Der erfolgreiche Weg des Katholischen Gesellenvereins konnte von außen nicht aufgehalten werden. Schon ein Jahr nach Kolpings Tod gab es Krieg zwischen Preußen und Österreich. Mitglieder des Gesellenvereins mussten hüben wie drüben in den Kampf ziehen. Eine schwere Belastungsprobe stellte der sogenannte Kulturkampf dar. Die katholische Kirche in Deutschland, insbesondere in Preußen, sah sich sehr massiven Beeinträchtigungen von staatlicher Seite ausgesetzt. Eine weitere Herausforderung stellte der politische Bedeutungszuwachs des Sozialismus dar. Der Gesellenverein – seinem Selbstverständnis nach Teil der katholischen Sozialbewegung – stand im weltanschaulichen Konkurrenzkampf bei der Lösung der sozialen Frage. Er begrüßte dann auch nachdrücklich das Erscheinen der ersten päpstlichen Sozialenzyklika “Rerum Novarum” im Jahre 1891.

1901 bis 1933

Zentralisierung und Internationalisierung

 

Wendepunkt in der Geschichte

Der Tod des Generalpräses Sebastian Georg Schäffer markiert einen Wendepunkt in der Verbandsgeschichte. Schäffer, der sein Amt 35 Jahre ausübte, setzte auf Kontinuität des Kolpingschen Erbes. Die nächsten Jahrzehnte wurden jedoch aufgrund der massiven politischen und gesellschaftlichen Veränderungen geprägt durch raschen und vielfältigen Wandel in Richtung Zentralisierung und Internationalisierung.

    
GP Franz Hubert
Maria Schweitzer

1. Ausgabe Kolpingsblatt

Einweihung Kolpingdenkmal
 

1901 – 1918 Die letzten Jahre des Kaiserreichs

Das neue Jahrhundert begann für das Kolpingwerk mit gravierenden Beschlüssen bzw. Ereignissen: Am 1.1.1901 erscheint erstmalig das „Kolpingsblatt“ als Verbandsorgan, das die von Kolping gegründeten „Rheinischen Volksblätter“ ablöste. Am 16.11.1901 stirbt Schäffer. Sein Nachfolger wird Franz Hubert Maria Schweitzer, der sein Amt bis 1924 ausübt. Im September 1902 beschließt die Generalversammlung die Einrichtung eines Generalsekretariates als Verbandszentrale sowie eines Generalrates, der als Leitungsorgan dem Generalpräses an die Seite gestellt wird. Ebenfalls fällt der Beschluss über die Einführung von Mitgliedsbeiträgen.
In der Folgezeit erfolgten weitere Schritte in Richtung Zentralisierung: 1904 wird eine Zentral-Sterbekasse eingeführt. 1907 trägt der Gesamtverband die offizielle Bezeichnung “Verband katholischer Gesellenvereine”. Im gleichen Jahr wird der Generalrat in eine juristische Person umgewandelt und damit zum Vermögensträger des Verbandes. 1909 werden die vielen örtlichen Krankenkassen der Gesellenvereine zusammengeschlossen in die „St. Joseph-Krankenunterstützungskasse“. Am 1.1.1914 erscheint erstmalig für die Leitungskräfte des Verbandes die Führungszeitschrift “Der Führer”. Sie wird parallel publiziert zu den schon lange bestehenden „Mitteilungen für die Präsides“.
Mit den organisatorischen Neuerungen wollte man die Zukunftsfähigkeit des Werkes absichern. Dazu gehörte auch das Bemühen, die Erinnerung an Adolph Kolping lebendig zu halten. Am 12. Juli 1903 wird das Kolpingdenkmal vor der Minoritenkirche in Köln eingeweiht. Es gehört seither, wie das Grab Kolpings in der Minoritenkirche, zu den meist besuchten Gedenkstätten in Köln. Die Eröffnung des Seligsprechungsprozesses wird am 8.8.1906 von dem Wiener Erzbischof Gruscha, einer der engsten Vertrauten Kolpings, angeregt.
Der erste Weltkrieg stellte einen tiefen Einschnitt für den Verband mit seinen ausschließlich männlichen Mitgliedern dar. Kriegsbedingt kam die Verbandsarbeit in den Jahren 1914 -1918 weithin zum Erliegen. Denn mehr als zwei Drittel aller Mitglieder wurden zum Kriegsdienst einberufen; fast jeder Dritte von ihnen kehrt nicht wieder zurück.
 

1919-1933 Weimarer Republik

Nach dem 1. Weltkrieg erlebte die Arbeit des Katholischen Gesellenvereins einen raschen Aufschwung. Die Mitgliederzahl stieg und zahlreiche Gesellenvereine wurden gegründet, auch außerhalb Europas. Die Verbandsarbeit blieb jedoch weitgehend unverändert, ebenso die Zielgruppe der ledigen männlichen Handwerksgesellen.
Die Weimarer Republik mit ihrer demokratischen Regierungsform schuf ein günstiges Klima für Vereine. Der Verband und seine Mitglieder nutzten nun engagiert die Möglichkeiten zur aktiven Teilhabe am politischen Leben. Der Demokratisierungsprozess war auch im Verband selbst nicht mehr aufzuhalten. Seit 1921 können die Vertreter der aktiven Mitglieder an den Generalversammlungen teilnehmen und erlangen damit ein Mitspracherecht. Dies war seit Kolpings Tod über viele Jahrzehnte hinweg ausschließlich den Präsides vorbehalten. Die organisatorischen Rahmenbedingungen wurden ausgebaut: 1923 wird der “Reichsverband der katholischen Gesellenhäuser” gegründet, 1927 ein zentraler Arbeitsnachweis eingeführt und 1932 die Arbeitsgemeinschaft der Fachabteilungen gebildet.
Daneben wurde intensiv die Schulung von Führungskräften vorangetrieben. So fand bereits 1921 die erste Bildungswoche für Vorstandsmitglieder statt. Solche Führungskräfteseminare, aus denen nicht wenige bedeutende Persönlichkeiten in Politik und Gesellschaft hervorgegangen sind, gab es seitdem regelmäßig. Seit 1929 verfügt der Verband sogar über ein eigenes Schulungsheim in Kerpen. Die weitere Entwicklung des Kolpingwerkes in Deutschland wurde im zunehmenden Maße geprägt durch das machtvolle Aufkommen des Nationalsozialismus. Wenn die Verbandsleitung auch über Jahre hinweg die Unvereinbarkeit der katholischen Lehre mit dem Nationalsozialismus betonte, so zeigte sich Anfang der 30er Jahre eine gewisse „Kompromissbereitschaft“

Internationalisierung

Außerhalb Deutschlands schlossen sich viele Vereine auf nationaler Ebene zusammen, z.B. 1922 in Ungarn und 1923 in den USA. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, wurden die Generalstatuten im Jahre 1925 neu gefasst. Wichtige Änderungen betrafen die Gründung und Eigenständigkeit von Zentralverbänden. Bestehende Verbände eines politisch selbständigen Landes werden unter bestimmten Voraussetzungen in einem Zentralverband zusammengefasst. So entstanden weitere Zentralverbände 1926 im Sudentenland, 1927 in Rumänien und 1928 in Südtirol. Der deutsche Zentralverband entstand ebenfalls 1928 bei einer ersten gemeinsamen Tagung der Diözesanpräsides und der Mitgliedervertreter der Diözesanverbände. 1929 fand die erste deutsche Zentralversammlung statt, die aus den Diözesanpräsides und den Diözesansenioren bestand. Sie beschloss über das erste Zentralstatut dieses neuen Zentralverbandes.
Die Beschlussfassung der Generalversammlung von 1925 ist ein Meilenstein in der Verbandsgeschichte. Seit dieser Zeit unterscheidet man zwischen den einzelnen selbständigen Zentralverbänden auf der einen und dem Gesamtverband, dem heutigen Internationalen Kolpingwerk, auf der anderen Seite. Während im immer stärkeren Maße die Zentralverbände die konkrete Ausgestaltung der Verbandsaktivitäten bestimmen, konzentrieren sich die internationalen Gremien zunehmend auf die Behandlung mehr grundsätzlicher Fragen. Spätestens ab 1933 lässt sich dann keine einheitliche Geschichte des Kolpingwerkes mehr schreiben.
Trotz oder gerade aufgrund dieser Entwicklung bemühte man sich als katholischer Verein verstärkt um Wahrung der Einheit. Das erstmalig 1921 von der Generalversammlung beschlossene Programm bot dafür eine gute Basis. Damit konnte man sich in einem immer dichter werdenden Netz von gesellschaftlichen Gruppierungen positionieren. Weitere identitätsstiftende Momente bildeten Großveranstaltungen, z.B. die beiden internationalen Gesellentage 1922 in Köln und 1927 in Wien. Sichtbarer Ausdruck für die Gemeinsamkeit ist das 1928 eingeführte „K“-Logo als offizielles Verbandssignet. Ein anderes Zeichen der Geschlossenheit ist das „Haus des Gesellenvereins“ am Kolpingplatz in Köln. Es dient als Verbandszentrale und Sitz des Generalsekretariates und wurde am 20. Juli 1930 eingeweiht.

1933 bis 1945

Der Nationalsozialismus

GP Theodor Hürth

Kolpingsblatt 1936

    
Haus des Gesellenvereins
 

1933 – 1945 Nationalsozialismus

Nachdem Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde, zeigte sich auf brutalste Weise der Totalitätsanspruch der Nazis. Das im Juni abgeschlossene Reichskonkordat bot nicht den erwarteten Schutz. Die gewaltsame Beendigung des deutschen Gesellentages in München im Juni 1933 machte dies allzu deutlich. Angesichts dieser bedrohlichen Entwicklungen entschloss sich die deutsche Zentralversammlung im September 1933 zu radikalen Schritten: Neben dem bisherigen Gesellenverein mit seinen ledigen Handwerkergesellen trat die „Gruppe Altkolping“.
Dort erhielten die “Ehemaligen“ die vollberechtigte Mitgliedschaft. Beide Gruppen fanden sich zusammen unter dem Dach der Kolpingsfamilie. Darüber hinaus wurde die zentrale Mitgliedererfassung im Generalsekretariat in Köln mit dem sog. „Stammbuch“ eingeführt, ebenso der Kolpinggedenktag. Mit diesen Maßnahmen sollte das Überleben des Verbandes sichergestellt werden, gerade im Hinblick auf das staatliche Doppelmitgliedschaftsverbot.
Alle Bemühungen der Verbandsleitungen, einen „Modus vivendi“ mit den Machthabern zu finden, scheiterten. Die Arbeit des Verbandes wurde zunehmend gehindert: Kolpingsfamilien oder ganze Diözesanverbände wurden aufgelöst, das Vereinsvermögen beschlagnahmt, der Zugang von Neumitgliedern erschwert und Veröffentlichung behindert oder ganz unterbunden. Alle berufsbezogenen und sozialen Verbandsaktivitäten, z.B. die Fachabteilungen, die Wanderunterstützung und die Krankenkasse wurden eingestellt.
Der Verband wurde zurückgestutzt auf eine rein „innerkirchliche“ Organisation. Nichts durfte an die Zeiten eines „Standesvereins“ erinnern, selbst nicht die einschlägigen Begrifflichkeiten. Der ehemalige Gesellenverein wurde 1935 umbenannt in „Gruppe Kolping“, der deutsche Zentralverband in „Deutsche Kolpingsfamilie“ und der Gesamtverband in „Kolpingwerk“. In dieser schweren Zeit wurde die Verehrung Adolph Kolpings zu einem verbindenden Element. Damit gingen intensive Bemühungen um die Seligsprechung des Gesellenvaters einher.
Nach Kriegsausbruch 1939 kam die Verbandsarbeit weitestgehend zum Erliegen. 1943 wurden die Minoritenkirche und das Generalsekretariat durch Fliegerangriffe schwer getroffen. 1944 starb Generalpräses Theodor Hürth bei einem Bombenangriff im Kölner Kolpinghaus. Dem NS-Terror fielen in den Kriegsjahren zahlreiche Präsides, Leitungskräfte und Mitglieder zum Opfer.
Der Expansionsdrang der Nazis und der 2. Weltkrieg hatten auch massive Auswirkungen auf das Kolpingwerk außerhalb Deutschlands. Das Kolpingwerk in Österreich kam mit dem deutschen Einmarsch 1938 praktisch zum Erliegen. Die Zentralverbände Holland und Belgien fielen der deutschen Besatzung 1940 zum Opfer. In den Niederlanden konnte erst nach vielen Jahrzehnten ein Neuanfang in sehr engem Rahmen gewagt werden. Blühende Zentralverbände im osteuropäischen Raum, z. B. Ungarn, Tschechoslowakei und Rumänien gingen nach der kommunistischen Machtergreifung unter. Dies galt ebenso für das reich entfaltete Verbandsleben in den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Nur in der DDR konnte sich das Kolpingwerk halten, wenn auch mit sehr eingeschränkten Wirkmöglichkeiten.
 

1945 bis 1971

Wiederaufbau und Öffnung

     
Zerstörte Minoritenkirche  

Wiederaufbau

Nach Kriegsende begann man unmittelbar mit dem Wiederaufbau des deutschen und österreichischen Kolpingwerks. Mit tatkräftiger Unterstützung zahlloser Mitglieder wurden die Minoritenkirche und das „Haus des Gesellenvereins“ wiederaufgebaut. Dies war auch den großzügigen Hilfeleistungen aus den USA und der Schweiz zu verdanken.
In erstaunlich kurzer Zeit gelang es, wieder tragfähige Grundlagen für eine wirksame Verbandsarbeit zu schaffen, sowohl auf örtlicher wie überregionaler Ebene. Schon ab 1946 beginnt eine rege publizistische Tätigkeit des Zentralverbandes. 1947 findet wieder eine deutsche Zentralversammlung statt. Ein besonders eindrucksvoller Höhepunkt ist der Kölner Kolpingtag im Juni 1949 anlässlich des 100jährigen Bestehens der Kolpingsfamilie Köln-Zentral mit internationaler Beteiligung. Diese Großveranstaltung zeigte die Entschlossenheit des Verbandes, nicht nur die eigenen Aktivitäten neuerlich zu entfalten und weiterzuentwickeln, sondern auch aktiv an der Ausgestaltung der neuen demokratischen Ordnung mitzuwirken.


Massive Spannungen

Mit großen Schwierigkeiten war der Wiederbeginn im internationalen Bereich verbunden. Die Frage der Nachfolge für den 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommenen Generalpräses Theodor Hürth führte zu massiven Spannungen zwischen den Zentralverbänden. Die Forderungen reichten bis hin zur Verlegung des Sitzes des Internationalen Kolpingwerkes in ein neutrales Land. Um den Weg für einen gedeihlichen Neubeginn freizumachen, tritt der im Oktober 1945 gewählte Generalpräses Dahl im September 1947 zurück. Ein entscheidender Schritt auf diesem Wege gelang mit der einmütigen Wahl von Dr. Bernhard Ridder zum Generalpräses im Oktober 1948. Er übte sein Amt bis 1960 aus.
 

Generalpräses Bernhard Ridder

Generalpräses Heinrich Fischer

Wandel durch Öffnung

Die Entwicklung im Kolpingwerk Deutscher Zentralverband durchlief nach 1945 einen tief greifenden Wandlungsprozess. In der alltäglichen Arbeit vor Ort versuchte man zunächst, an die Praxis vor 1933 anzuknüpfen. Aufgrund von veränderten Rahmenbedingungen stellte sich dies allerdings sehr bald als schwierig heraus. Die traditionelle berufliche Wanderschaft, die ja für den katholischen Gesellenverein ein entscheidendes Element gewesen war, kam nach 1945 so gut wie zum Erliegen. Außerdem war der Gesellenverein nicht mehr der alte. Innerhalb der Deutschen Kolpingsfamilie überwiegte der Anteil der beruflich und familiär etablierten Mitglieder („Gruppe Altkolping“) gegenüber der traditionellen Zielgruppe der ledigen Handwerkergesellen („Gruppe Kolping“). Dies führte zwangsläufig zu konkreten Änderungen bei der Verbands- und Bildungsarbeit wie auch beim geselligen Miteinander.
In dieser Umbruchsituation fanden zunehmend Menschen aus unterschiedlichen Berufen und sozialen Schichten Interesse an der Kolpingsfamilie. Dies bedingte bereits in den 50er Jahren einen Öffnungsprozess im Hinblick auf die Zusammensetzung der Mitgliedschaft. Mit Schaffung der „Gruppe Jungkolping“ konnten auch Jugendliche Mitglieder werden. Aufgrund eines Beschlusses der Zentralversammlung im Jahre 1966 stand dann endlich auch Frauen und Mädchen der Weg zur Mitgliedschaft offen. Im Zuge dieses Öffnungsprozesses und der Flüchtlingsströme kam es zu zahlreichen Neugründungen. Von den rund 2800 Kolpingsfamilien im deutschen Kolpingwerk sind weit mehr als die Hälfte in der Phase nach 1945 entstanden. Im Laufe der 60er Jahre wurde soziale Einrichtungen wie die Bildungs- und Familienferienwerke ins Leben gerufen, mit denen das Kolpingwerk seinen Dienst am Menschen, und dies weit über den Kreis der Mitglieder hinaus, beweist.
Charakteristisch für diesen Wandlungsprozess ist der Übergang vom Gesellenverein zur Kolpingsfamilie. Dieser Prozess entwickelte sich mehr von der Basis aus und wurde später durch entsprechende programmatische und statutarische Regelungen abgesichert.
Diese Entwicklungen stehen aber auch im Zusammenhang mit äußeren Faktoren. Die Gründung der Bundesrepublik Deutschland bot mit ihrem demokratischen und sozialen Rechtstaatsprinzip dem Verband vielfältige Möglichkeiten der politischen Partizipation. Ebenso stärkten das 2. Vatikanische Konzil und die gemeinsame Synode der Bistümer in der BRD mit ihrer Betonung der Laienverantwortung in der Kirche den Verband in seiner Arbeit.
Auf der Zentralversammlung in Bad Wörishofen 1971 wurden dann auch ausdrücklich die umfassenden gesellschaftspolitischen Aufgaben und Verantwortlichkeiten des Verbandes als Teil der katholischen Sozialbewegung statuiert. Neben diesem gewandelten Selbstverständnis wurde weitere Akzente gesetzt, z. B. der Begriff “Kolpingwerk” für die überörtlichen Ebenen des Verbandes und die Einführung des Vorsitzenden-Amtes auf allen Ebenen.
Im europäischen Bereich verlief die Entwicklung in ähnlicher Weise, wenn auch zeitlich versetzt. In den 50er und 60er Jahren erfuhr jedoch das Internationale Kolpingwerk im Vergleich zur Vorkriegszeit eine deutlich geringere Ausbreitung. Mit der Beschlussfassung bei der Generalversammlung 1968 über die Entwicklungshilfe, der “Aktion Brasilien” fiel dann allerdings der Startschuss für eine geradezu explosionsartige Weiterentwicklung des Verbandes auf internationaler Ebene.

1971 bis 1991

Auf dem Weg zur Seligsprechung

     
Generalpräses
Heinrich Festing
 

Kolpingwerk als Sozialverband

Ein langer Abwärtstrend bei der Mitgliederentwicklung konnte etwa Anfang der 70er Jahre gestoppt werden. Jahr für Jahr stieg die Zahl der Mitglieder auf Rekordhöhe; neue Kolpingsfamilien wurden gegründet. Diese Entwicklung fiel zeitlich zusammen mit einem intensiven Bemühen um Ausbau und Vertiefung des Verbandsschrifttums. Dadurch konnte der Bekanntheitsgrad der Person Adolph Kolpings und seines Werkes gesteigert werden. Dies war aber auch dem engagierten Einsatz zahlloser Mitglieder für die Seligsprechung Kolpings zu verdanken.
Neben dem aktiven und offenbar auch attraktiven Leben und Wirken der Gemeinschaft entfalteten auch die Verbandseinrichtungen wie das Bildungswerk und die Familienferienstätten immer breitere Aktivitäten. Damit trugen sie ihrerseits dazu bei, Bekanntheit und Akzeptanz des Kolpingwerkes als aktiver und engagierter Sozialverband auszubauen. Denn das Kolpingwerk verstand sich zunehmend als gesellschaftspolitischer Akteur mit Schwerpunkt in den Bereichen Gesellschafts-, Sozial- und Familienpolitik. Sichtbaren Ausdruck fand diese Entwicklung 1976 in der Formulierung des Paderborner Programms. Mit dem Vollzug der Deutschen Einheit am 3.10.1990 konnte dann endlich der deutsche Zentralverband als gesamtdeutscher agieren.

    
Bei der
Seligsprechung in Rom

Einheit in Vielfalt

Das Internationale Kolpingwerk erlebte eine rasche, bislang nicht gekannte Ausdehnung, insbesondere in Lateinamerika, später dann in Afrika und Asien. Damit ging ein neues mondiales Selbstverständnis einher, dem auf der Generalversammlung 1972 Rechnung getragen wurde; den einzelnen Zentralverbänden wurde in stärkerem Maße als früher die Regelung ihrer Angelegenheiten überlassen. Damit gelang es erstmalig in der Verbandsgeschichte, in größerem Maße die Ideen Kolpings tatsächlich in unterschiedlichen nationalen Kontexten umzusetzen. In der Neufassung des internationalen Programms 1982 und den internationalen Statuten von 1987 spiegelt sich dieser Prozess wider.
Der Deutsche Zentralverband als größter Zentralverband übernimmt eine besondere Verantwortung für das Leben und Wirken dieser weltweiten Gemeinschaft des Internationalen Kolpingwerkes. Die Seligsprechung Adolph Kolpings am 27.10.1991 stellt für das Internationale Kolpingwerk ein Höhepunkt seiner Geschichte dar.