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Meinungsfreiheit untersteht dem Schutz der Machtkritik – Forscher bestätigt: Diskussionskultur am historischen Tiefpunkt

veröffentlicht am

Der prominente Referent konnte umfassend aufklären. Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner (Bielefeld) erläuterte eingehend und überzeugend die Ursachen und Wirkmechanismen, warum der freie Meinungsaustausch in unserer Gesellschaft ins Stocken geraten ist. Er sprach dabei von einem „Kipppunkt“.
Zur Einführung wies Martin Grünewald vom Vorstand der Kolpingsfamilie Hennef auf die großzügige Auslegung der Meinungsfreiheit durch das Bundesverfassungsgericht hin. Begründung in dem Urteil („Soldaten sind Mörder!“): „Meinungsfreiheit ist schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Ordnung.“ Es habe aus diesem Grund sogar Äußerungen, die als Beleidigung an der Grenze zur Strafbarkeit liegen, für rechtmäßig unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (Meinungsfreiheit) erklärt. Das höchste deutsche Gericht stellte fest: „Grundrechtsschutz besteht deswegen unabhängig davon, ob die Äußerung rational oder emotional, begründet oder grundlos ist und ob sie von anderen für nützlich oder schädlich, wertvoll oder wertlos gehalten wird.“ … „Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht schon dem Schutzbereich des Grundrechts.“ … „Dieses Grundrecht ist gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen und findet darin unverändert seine Bedeutung.“
Schmähkritik nimmt die Rechtsprechung davon aus. Sie wird angenommen, wenn in der umstrittenen Äußerung kein Beitrag zur Auseinandersetzung in der Sache liegt, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.

Sowohl auf internationaler Ebene wie auch speziell in Deutschland haben sich Wissenschaftler zusammengetan, die die Auswüchse der Cancel Culture versuchen abzuwehren. Sie gründeten ein „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“. Die Universität Hamburg veröffentlichte zum Beispiel einen „Kodex Wissenschaftsfreiheit“. International schlossen sich Wissenschaftler der „Westminster Declaration“ an. Die Soziologen Matthias Revers und Richard Traunmüller untersuchten, wie tolerant linke Studierende der Goethe-Universität Frankfurt gegenüber Menschen sind, deren Haltungen sie ablehnen. Das Ergebnis: Ein “beträchtlicher Anteil“ der Befragten sei bei gewissen Positionen bereit dazu, die Redefreiheit an der Universität einzuschränken.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz übt Druck auf die Betreiber von Sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter/X, Youtube etc aus; es drohen empfindliche Geldstrafen. Auch zwei Grundsatzurteile des Bundesgerichtshofes änderten die Lösungspraxis nicht wesentlich, da jeder Eingriff in die Meinungsfreiheit einzeln abgewehrt werden muss.

Zunächst bestätigte Klaus-Peter Schöppner den schlechten Zustand der öffentlichen Diskussionskultur, die sich an einem historischen Tiefpunkt befindet. Erstmals in der Nachkriegszeit bestätigten bereits vor zwei Jahren nur noch 45 Prozent bzw. 44 Prozent: „Haben Sie das Gefühl, dass man heute in Deutschland seine politische Meinung frei sagen kann, oder ist es besser, vorsichtig zu sein?“ 1971 lag der Anteil noch bei 83 Prozent, die sich frei darin fühlten.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Ein Hauptgrund besteht für Klaus-Peter Schöppner im raschen gesellschaftlichen Wandel. Meinungen verändern sich schnell, sind volatil. Die Welt ist komplex und schwer durchschaubar geworden. Und es herrscht zunehmend Uneindeutigkeit: Es fehlen gemeinsame Werte. In der meinungspluralen Welt hat jeder recht, es gibt kein „richtig“ oder „falsch“.
Weil einheitlicher Urteils- und Bewertungsrahmen verloren gegangen ist, hat jeder seine eigenen Bewertungsmaßstäbe. Dadurch entsteht ein Bedeutungsverlust von Objektivität, Seriosität und Genauigkeit. Nicht Korrektheit, sondern eigene Meinungsinteressen bilden den entscheidenden Maßstab. Eigene Absichten lassen sich deshalb bequem instrumentalisieren.
Dies wird befördert von Multi-Kulti, wodurch wir gezwungen werden, fremde Werte zu akzeptieren. Damit entsteht ein Konsensverlust.
Hinzu kommt ein Überflussdilemma: Im Internetzeitalter sind zwar alle Informationen gleichzeitig verfügbar. Das nützt aber wenig, wenn ein Informationsfilter einsetzt und vom Konsumenten nur Meinungsverstärker der eigenen Ansichten akzeptiert werden. Die Beschränkung auf Eigenmeinung verhindert offene Diskussionen und reduziert den öffentlichen Argumentationsaustausch.

Personifizierung verzichtet auf sachliche, argumentative Darstellung
Schädlich ist auch die von vielen Medien unterstützte Personifizierung. Dann wird es wichtiger, wer etwas sagt, und es zählt weniger das Argument, was er sagt. Medien stellen unterschiedliche Standpunkte lieber als persönliche Konflikte dar: Meier gegen Müller. Das ist emotionaler und deshalb für die Konsumenten ansprechender.
Durch aufgeschnapptes, einfaches Wissen gehen zudem Genauigkeit und Tiefe verloren. Ob der Mechanismus nun von Medien oder Demoskopen ausgeht, ist zweitrangig: Es ist Mode geworden, dass nur das Neue oder der Rekord zählt. Dieser Trend wird bestärkt durch die Konkurrenz der Medien. Dadurch zählen Inszenierung, Übertreibung und Schnelligkeit, Qualität wird unwichtiger.
Was lange Zeit die Güte der Medien ausmachte, droht zum Nachteil zu werden: „Wer recherchiert – verliert.“ Damit ist gemeint: Journalisten, die eine Behauptung oder ein Klischee untersuchen und auf den Wahrheitsgehalt prüfen, verlieren leicht eine schöne Schlagzeile. Da ist es bequemer und reichweitenstärker, nicht aufzuklären, anstatt nach der tieferen Wahrheit zu suchen. Nur noch eine Minderheit interessiert sich für Qualitätsjournalismus, die Mehrheit findet sich mit Oberflächlichkeit und Lüge ab.
Zu viele Themen findet unsere Gesellschaft deshalb keine gemeinsame Wahrheit mehr: angefangen bei der Gesundheit (Corona), über den Ausländeranteil bei der Kriminalität, bei Zusammenhalt und Multi-Kulti, bei den Ursachen und Folgen der Migration, beim Widerstreit zwischen Ökologie und Ökonomie sowie zwischen Arbeitsanreizen und dem Bezug von Sozialleistungen. Das verhindert gemeinsame Lösungen.
Ein Zerrbild entsteht bei der Mehrheit der Bundesbürger über den Erfolg der Sozialen Marktwirtschaft. Durch Skandalisierungen entsteht der Eindruck, unsere Wirtschaft werde eher von Betrügern als redlichen Unternehmern bestimmt. Obwohl die Lebensumstände gut und die Menschen rundum versorgt sind, befürwortet nur eine Minderheit unser erfolgreiches Wirtschaftssystem (West: 48 %, Ost: 30 %). „Als ob es ein anderes, besseres Wirtschaftssystem gäbe“, seufzte Klaus-Peter Schöppner.
Der Referent kritisierte die rot-grüne Rhetorik: „Skandalisierung führt zur Ablenkung von Fakten, öffentliche und veröffentlichte Meinung driften auseinander. Das führt zur Trillerpfeifendemokratie und verstärkt den Frust der Bürger.“

Frust, Irritation, Ungerechtigkeitsempfinden und Unsicherheit führen zu Zukunftsängsten und einer Wir-sind-es-leid-Stimmung. Dazu tragen auch falsche Schwerpunkte bei: Anstatt über Lebensthemen wie Krieg, Migration, Finanzen, Pflege, Wohnen und Leistungsbereitschaft zu diskutieren, würden Wertethemen wie Genderitis oder Tierwohl in den Vordergrund geschoben.
Der redliche Bürger gewinne den Eindruck, er stünde ohne Lobby da und die Eliten hätten kein ernsthaftes Interesse am ehrbaren Bürger. Sein Rechtsempfinden werde gestört und er gewinne den Eindruck, ehrlich zahle am meisten.
Vom Staat fühlten sich viele Bürger hingegen betrogen. Dort spiele Geld oft keine Rolle und es gebe scheinbar unbegrenzte Mittel bei den Staatsausgaben. Politiker und Manager könnten sich selbst auf einfache Weise überversorgen.

Auswege
Als Auswege aus dem Dilemma nannte Klaus-Peter Schöppner:
Politischen Realismus. Der Bürger bezahle, daher dürfe es keine unrealistische, parteipolitisch motivierten bzw. kostenintensiven Versprechen ohne Gegenleistung mehr geben. Unerfüllbare und nur zum Schein gestellte Forderungen dürften nicht mehr hingenommen werden. Der Staat brauche ein Controlling, das in jeder Firma funktioniere. Bei der Finanzierung von Staatsleistungen müsse auf die Realität geachtet werden: Geld ist nicht einfach da – der Bürger zahlt.
– Für den Sozialstaat muss es eine Zeitenwende geben. Fordern und Fördern gehören unverzichtbar zusammen: Wir brauchen eine Rückkehr zum Prinzip der sozial gerechten Eigenleistung: Es gibt keine Leistung ohne Gegenleistung. Finanziell nicht leistbare Ausgaben in der Sozialversicherung müssen auf ein Realmaß begrenzt werden.
Pragmatismus, Fairness und Fair-Trauen statt Spalterkommunikation.
– Inländerfreundlichkeit, Renaissance der deutschen Leitkultur, die inzwischen von zwei Dritteln des Volkes verlangt werde.
Sicherheit ist nicht verhandelbar! „Kultur“ rechtfertigt keine Gewalt. Wehret den Anfängen: Aus Laissez-faire wird Deliktgewöhnung, Offener Umgang mit Migrationskriminalität. Gastrechtsmissbrauch gilt es konsequent zu ahnden.
Inhalt statt Inszenierung. Die mediale Berichterstattung muss wieder glaubwürdig werden. Der Vertrauensverlust ist erheblich und gefährlich.
– Die Jugend ernst nehmen, mehr Generationengerechtigkeit.
Aufbau von Persönlichkeitsstärke und Resilienz/Widerstandsfähigkeit. Mehr Respekt und Darstellung des Positiven.
Schnellste Erledigung bzw. Aufarbeitung negativer Ereignisse.

Im Anschluss an den Vortrag gab es die Möglichkeit zu Fragen, Kritik und Widerspruch. So gab es eine Reihe von Meinungsäußerungen aus dem Publikum. Der Referent konnte sie überzeugend beantworten. So blieb eine zwar deutlich ernüchterte, jetzt aber weit besser informierte und vielfach angeregte Zuhörerschaft im Raume, die sich dankbar zeigte für die Fülle an nachvollziehbaren Erklärungen für die aufgezeigten gegenwärtigen gesellschaftlichen Trends.