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Kolpingsfamilie

Hennef

Portrait Adolf Kolping
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Was Menschen aus Ost und West voneinander lernen können

veröffentlicht am

„Das ist uns ganz anders erzählt worden!“ Beim Rundgang durch das Konrad-Adenauer-Museum kann ein Mitglied der Kolpingsfamilie Bernsdorf seine Verwunderung nicht verbergen. An diesem historischen Ort in Bad Honnef-Rhöndorf wird die deutsche Nachkriegsgeschichte wieder lebendig. Die SED hat in Ostdeutschland vieles anders dargestellt. Hier in der Ausstellung gewinnen die Dokumente und Filmausschnitte aus dem Leben und Wirken des ersten westdeutschen Bundeskanzlers bei den Gästen aus dem Osten einen großen Stellenwert. Vier Jahrzehnte lang erschien der SED-Staat allmächtig und lebensbestimmend, und auch 30 Jahre nach der friedlichen Revolution gibt es weiterhin Erkenntnisgewinne über das Leben im lang geteilten Deutschland.

Gestaunt waren an diesem Wochenende auch die Gastgeber aus dem Westen. Denn am Freitagabend berichten die Bernsdorfer, wie es ihnen in der Ära der DDR ergangen ist. Gegründet wurde die Kolpingsfamilie Bernsdorf 1953 durch den Bezirksschornsteinfegermeister Paul Röhrich. Die Kolpingarbeit unterschied sich aber wesentlich in Ost und West. Bildungsarbeit zu gesellschaftspolitischen Themen war in Bernsdorf, das im Bistum Görlitz rund hundert Kilometer vor der polnischen Grenze liegt, überhaupt nicht möglich. „Die Kolpingsfamilien standen unter dem Schutz der deutschen Bischöfe. Mehr als  religiöse Betätigung war nicht drin“, berichtete Carmen Thomschke, die Vorsitzende aus Bernsdorf. Gesellige Veranstaltungen gelangen nur unter falschen Vorwänden und mit Tricks. Der Kolping-Ball wurde als Hochzeitsfeier ausgegeben, eine Karnevalsfeier als Klassentreffen. Einbringen konnten sich die Kolpingmitglieder allerdings durch ihr Können als Handwerker: Viele Pfarrer waren froh über Reparaturen und Installationen in Kirchen und Einrichtungen, die Kolpingmitglieder ehrenamtlich leisteten. Kolping hatte den Ruf als „Arbeitstrupp der Gemeinde“.

Carmen Thomschke selbst litt ebenfalls unter der SED-Ideologie. Als sie sich beruflich weiterbilden wollte, wurde das abgelehnt. „Ich entsprach nicht den sozialistischen Idealen“, berichtete sie. Da sie in die Kirche und nicht zur Jugendweihe ging, blieb ihr bereits der Zutritt zu Gymnasium und Hochschule verwehrt. Auch Kolpingschwester Gretel Kluge litt unter Diskriminierung: Ihr bei einer kirchlichen Ausbildungsstätte abgelegter Berufsabschluss als Erzieherin wurde staatlich nicht anerkannt; bis zur friedlichen Revolution arbeitete sie als ungelernte Hilfskraft.

In ihrem Freundes- und Bekanntenkreis erlebten sie noch weit härtere Schicksale: Carmens Klassenkamerad Horst-Günther K. hatte vor, die DDR zu verlassen. Über Prag wollte er in den Westen flüchten. Die Pläne flogen auf, er wurde verhaftet und erhielt eine Gefängnisstrafe von sechs Jahren. Nach vier Jahren konnte er vom Vater freigekauft werden, der im Westen lebte. In Gefangenschaft im Gefängnis Bautzen wurden allerdings seine Nieren geschädigt, denn er musste tagelang zur Strafe im hohen kalten Wasser stehen. Auch Methoden der psychischen Folter wurden angewandt.

Ein Verwandter von Carmen Thomschke wurde ebenfalls zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Er hat Fotos von seine Wohnung, die den erbärmliche Zustand zeigten, an den westdeutschen Springer-Verlag geschickt. Der Brief wurde abgefangen, und er wurde verhaftet. Als er entlassen wurde, verpflichtete man ihn unter Mordandrohung zum Schweigen. Außerdem wurde er gezwungen, für die Stasi zu arbeiten.

Der Gründer der Kolpingsfamilie, Paul Röhrich, hatte nach einem Umzug in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Kolpingsfamilie Hoyerswerda einen Brief an die Staatsregierung verfasst und darin den Bau einer neuen Kirche in der Neustadt verlangt. Hoyerswerda hatte sich zu einem begehrten Zuzuggebiet aufgrund des benachbarten Kohleabbaugebietes und des Kraftwerkes Schwarze Pumpe entwickelt. Die katholische Kirche passte aber nicht ins sozialistische Weltbild, Schikanen waren deshalb an der Tagesordnung. Zwar konnte in der Neustadt von Hoyerswerda mit dem Bau einer neuen Kirche begonnen werden – mithilfe von Spenden aus Westdeutschland. Zufällig wurden aber die Fundamente zu tief gesetzt, so dass der Weiterbau nicht möglich war. Die SED hoffte darauf, damit das Kirchen-Neubauprojekt sabotieren zu können. Doch weit gefehlt: Die westdeutschen Katholiken spendeten erneut, und so konnte die Kirche dennoch realisiert werden.

Hinternisse gab es immer wieder. So besaß die Kolpingsfamilie Bernsdorf kein eigenes Banner. Aus Westdeutschland wurde ihr ein Exemplar geschenkt. Aber wie sollte es in den Osten gelangen? Eine Lehrerin, die ihre Existenzgrundlage verloren hätte, wenn sie aufgefallen wäre, konnte es bei einem Verwandtenbesuch in Westdeutschland über die Grenze schmuggeln.

Ein weiteres Beispiel für die Repressionen: Roland Ermer, aktueller Bundestagskandidat der CDU für den Wahlkreis Bautzen,  machte folgende Erfahrung mit der Stasi: Er wollte ein Ingenieurstudium für Maschinenbau aufnehmen; da er keine Jugendweihe empfangen hatte,  wurde ihm das verwehrt. Daraufhin nahm er in der Bäckerei seines Vaters eine Ausbildung auf. Als er versuchte, den Waffeneinsatz  bei der Armee aus Gewissensgründen zu verweigern und bei den Bausoldaten zu dienen, drohte ihm die Stasi: Wenn du da nicht mitmachst, schließen wir die Bäckerei deines Vaters!

Für die Kolpingmitglieder aus Hennef bot die Begegnung mit den Bernsdorfer Vorstandsmitgliedern die erste Gelegenheit seit langer Covid-bedingter Wartezeit, eine interessante Bildungsveranstaltung zu erleben.