vor 105 Jahren: Mord an 21 Gesellen der Kolpingsfamilie St. Joseph

Vor 105 Jahren, am 6. Mai 1919 wurden 21 junge Gesellen des katholischen Gesellenvereins München St. Joseph brutal ermordet. Das Kolpingwerk Bezirksverband München gedachte mit einem Gottesdienst dieser Bluttat. Anschließend referierte Professor Dr. Alexander Korb über diese Tat und ordnete sie in den geschichtlichen Zusammenhang ein.

Mucksmäuschenstill war es in der Bürgersaalkirche München als Bezirkspräses Bernhard Stürber die Namen, den Beruf und vor allem das Alter derjenigen Gesellen vortrug, die vor 105 Jahren ermordet wurden. Fünf der Ermordeten waren gerade einmal 19 Jahre alt.

Wie kam es dazu? Die Gesellen von St. Joseph trafen sich in ihrem Vereinslokal in der Münchner Augustenstraße, um ein Theaterstück zu besprechen. Nach den Wirren des 1. Weltkrieges schien wieder so etwas wie Normalität einzukehren: Im November 1918 wurden in Bayern und allen anderen Gebieten des Reichs die bis dato regierenden Monarchen vertrieben und Republiken ausgerufen. In Bayern war es Kurt Eisner, der die provisorische Regierung stellte. Im Januar 1919 erfolgte die erste demokratische Wahl und Kurt Eisner wollte am 21. Februar sein Amt niederlegen, als er ermordet wurde. Bis zu diesen Zeitpunkt verlief die Revolution ohne Blutvergießen. Erst danach kam es in München zu Ausschreitungen: die gewählte Regierung musste München verlassen, im Stadtgebiet übernahmen rote Revolutionsregierungen die Macht. Um diese zu brechen, kamen die Reichswehr und Freicorps nach München und es kam zu einigen Gewalttaten von beiden Seiten. Die grausigste Tat wurde jedoch an den Gesellen von St. Joseph verübt.

Am Abend des 6. Mai waren bereits einige der Gesellen heimgegangen, die restlichen 26 befanden sich noch im Vereinslokal, als Soldaten das Lokal stürmten. Sie behaupten, die Gesellen seien Spartakisten und hätten eine verbotene Versammlung abgehalten. Obwohl die Gesellen das verneinten, wurden sie abgeführt und bereits auf der Straße von anderen Soldaten, die hinzustießen und auch angetrunken waren, zuerst mit Fäusten und dann auch mit Gewehrkolben und Pistolen geschlagen. Sie wurden durch die Stadt zum Karolinenplatz getrieben, wo im Keller ein Gefängnis für Spartakisten eingerichtet war. Aber bereits im Hof wurden sechs oder sieben der Gesellen erschossen, die anderen die Treppe in den Keller hinuntergestoßen. Ein Überlebender, Anton Wolf, beschrieb später die Situation: „Wir anderen kamen in den Keller und versuchten immer wieder unter Beteuerungen und Versuchen, uns zu legitimieren; nichts half. Wir mußten uns auf den Boden legen, mit dem Gesicht nach unten … Nun ging eine furchtbare Schießerei los …. Dann, nachdem diese Schießerei zu Ende war, wurde geplündert. Bei dieser Gelegenheit hatte dieses Mordgesindel gesehen, daß der Eine und der Andere vielleicht noch lebt und dann haben sie mit ihren Bajonetten ganze Arbeit gemacht.“ Er selbst bekam 3 Bajonettstiche, einen Lungendurchstich und wurde dann bewusstlos.

Bei der Beerdigung wandte sich Pater Ruppert Mayer mit eindringlichen Worten an die Eltern, Ehefrauen und Geschwister der Ermordeten: „Viel habe ich während der 2 ½-jährigen Tätigkeit im Felde erlebt, Schauerliches mitansehen müssen. Aber nichts hat mich innerlich so erschüttert, so zermalmt, als die Nachricht von dem Fürchterlichen, was hier geschehen ist.“ … „Was uns vor allem so weh tut …, das ist die Tatsache, dass Unschuldige, harmlose, liebe, gute Leute so jäh und plötzlich auf so schreckliche Weise ums Leben gekommen sind.“ Pater Ruppert Mayer rief dann zur Versöhnung auf: „Fort mit den Gedanken des Hasses. Soll sich unser Volk zerfleischen und zermalmen?“

Juristisch wurde der Gesellenmord zwar aufgearbeitet, aber die preußischen Soldaten redeten sich heraus, dass es eine bedauerliche Verkettung von Umständen gewesen sei. So kam es zu keiner Anklage der beteiligten Offiziere, sondern nur zur Anklage gegen fünf Soldaten, von denen einer freigesprochen wurde, da seine Tat nicht bewiesen werden konnte. Ein anderer wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, da er behauptete, einen der Gesellen gerettet zu haben und einen anderen zwar erschossen hätte, dies aber nur getan habe, um ihn von seinem qualvollen Leid der vielen Verletzungen zu erlösen. Gegen andere drei kam es zu Haftstrafen wegen Totschlags – die Staatsanwälte plädierten unerklärbarerweise nicht auf Mord – im Gegensatz zu den Verbrechen der Roten Garden. Professor Korb wies darauf hin, dass es zwar ein Bürgerkrieg war, bei dem beide Seiten einander Leid und Gewalt antaten, doch sei die weiße Seite auf Mord ausgewesen und tötete mehrere Hundert unschuldige Zivilisten, während die Roten acht politische Gegner, zwei Kriegsgefangene und zwei unbeteiligte Menschen hingerichtet hätten. Die Taten der Weißen relativierten natürlich nicht die der Roten.

Nach dem grausamen Gesellenmord wurde in München Gewalt gegen rechts und links anders wahrgenommen. Wenn – so auch Bezirkspräses Stürber – dieser Mord irgendeinen Sinn hatte, dann den, dass danach die tödlichen Exzesse aufhörten.

Professor Korb wählte den Titel „Sperriges Gedenken“ für seinen Vortrag: München tue sich immer noch schwer im Umgang mit Gedenken an Gewalttaten – nicht nur an den Gewalttaten von 1919, sondern auch jüngsten Gewalttaten, wie den rechtsradikalen Bombenanschlag beim Oktoberfest 1980, das 13 Menschenleben kostete, oder am OEZ 2016, dem 9 Menschen zum Opfer fielen.

 

(c) Text: Alfons Barth, München
(c) Bilder von Präses und Bürgersaalkirche: Winfried Hupe, München
(c) Bilder von Prof. Korb: Andreas Haftmann, München

Msgr. Huber weiht Gedenktafel ein

Msgr. Huber weihte am 6. Mai 2019 die Gedenktafel am Karolinenplatz ein


Gedenktafel

In diesem Haus wurden nach der Niederschlagung der Räterepublik am 6. Mai 1919 von Regierungssoldaten und Freikorps-Angehörigen 21 Mitglieder des katholischen Gesellenvereins St. Joseph – heute Kolpingsfamilie – brutal ermordet, weil man sie als “Spartakisten” verdächtigte.

Der Mord an den Gesellen des kath. Gesellenvereins St. Joseph 1919

1918 ging der erste Weltkrieg zu Ende. Zum letzten Mal sollte in Kiel die Deutsche Kriegsmarine auslaufen und die Schiffe und die Matrosen in einer aussichtslosen Schlacht untergehen – nach der kriegerischen Ideologie kam ein Aufgeben nicht in Frage, sondern nur ein „würdevoller“ Untergang. Die Matrosen in Kiel waren dieser Menschenopfer überdrüssig – sie meuterten. Und der Aufstand griff um sich: In München war es Kurt Eisner, der am 8. November 1918 den Freistaat ausrief und König Ludwig III für abgesetzt erklärte. Eisner wurde von der Versammlung der Arbeiter- und Soldatenräte zum Ministerpräsidenten gewählt.
Doch diese unblutige, friedliche Revolution währte nur kurz: Am 21. Februar 1919 wurde Eisner ermordet. Danach begann eine tumultartige Zeit. Im April wurde die sozialistische „Räterepublik“ ausgerufen. Es entbrannte der Straßenkampf zwischen den „Roten“ und einer Allianz aus Reichswehr und Freicorps, den „Weißen“. Alleine zwischen dem 30. April und dem 8. Mai 1919 wurden in München zwischen 600 und 1200 Menschen getötet, darunter mindestens 335 Zivilisten. Unter ihnen waren auch die 21 Gesellen von St. Joseph, deren Versammlung als heimliches Spartakistentreffen verdächtigt wurde. Sie wurden am 6. Mai 1919 durch die Stadt getrieben und schließlich in einen Keller abgeführt und dort kaltblütig erschossen.

Lassen wir uns 1919 als Mahnung sein: Auch in unserer heutigen Zeit mehren sich Vorgänge, bei denen Menschen aus politischen Gründen mit Gewalt angegriffen werden. Dagegen müssen gerade wir uns als Münchner Kolpinger scharf wenden: keine Gewalt gegen Andersdenkende ! – gleich ob von Rechts oder von Links !

Am 6. Mai 2019 gedachte der Bezirksverband München der Ermordeten mit einer hl. Messe mit Landes- und Diözesanpräses Msgr. Christoph Huber und Bezirkspräses Diakon Bernhard Stürber.

Abends schloß sich ein Vortrag von Prof. Dr. Hermann Rumschöttel an. Der Referent stellte nochmals die Vorkomnisse am 6. Mai 1919 dar, zeigte die juristische Aufarbeitung hervor und ordnete den Gesellenmord in die historische Zeitlinie ein.

Text: Alfons Barth

———————————————————————————-

Gedenktafel eingeweiht

Das Kolpingwerk Diözesanverband München und Freising hat eine Gedenktafel eingeweiht, die an den grausamen Mord von 21 Gesellen erinnnert.
Vor 100 Jahren sind in München 21 Handwerkergesellen des katholischen Gesellenvereins St. Joseph (heute Kolpingsfamilie) brutal ermordet morden. An dieses Massaker, das sich nach der Niederschlagung der Münchner Räterepublik am 6. Mai 1919 abspielte, erinnert jetzt eine Gedenktafel am Münchner Karolinenplatz. Die Platte wurde am 6. Mai 2019 gemeinsam vom Kolpingwerk Diözesanverband München und Freising, der Stadt München, der Versicherungskammer Bayern, dem Sparkassenverband Bayern und der Initiatorin Dr. Hella Schlumberger eingeweiht. Auch Kolpingmitglieder der ehemaligen Kolpingsfamilie St. Joseph waren bei der Einweihung anwesend.

Damals hatten sich die jungen Männer in ihrem Vereinslokal in der Augustenstraße getroffen, als Regierungstruppen und Freikorpssoldaten das Lokal stürmten. Es wurde behauptet, die Gesellen seien Spartakisten (Anhänger der Revolution) und hätten eine verbotene Versammlung abgehalten. Obwohl die 26 Katholiken das dementierten, wurden sie abgeführt und in ein Arrestgebäude am Karolinenplatz getrieben. Dort hatte man sie getreten, mit Fäusten und Gewehrkolben brutal zusammengeschlagen und schließlich auf dem Hof und im Keller erstochen und erschossen. Lediglich fünf Personen überlebten schwer verletzt, 21 unschuldige Männer waren tot. Die damalige Revolution bzw. Gegenrevolution in München hatte wohl rund 1.000 Leben gefordert – viele davon gänzlich unschuldig, wie die 21 katholischen Gesellen.

Bei der Enthüllung der Gedenktafel rief der Diözesan- und Landespräses des Kolpingwerkes DV München und Freising Msgr. Christoph Huber deshalb dazu auf, niemals Menschen aus politischen, religiösen oder sonstigen Gründen zu denunzieren oder vorzuverurteilen, damit sich eine solche Gräueltat niemals wieder wiederhole.

Text/Fotos: Simon Vornberger
———————————————————————————-

Erinnerung an Gesellenmord vor 100 Jahren – Kolpingstunde beim Münchner Kirchenradio

21 unschuldige Kolping-Gesellen wurden 1919 in den Wirren des Münchner Bürgerkriegs getötet. Der Münchner Historiker Hermann Rumschöttel erklärt in der Kolpingstunde die politischen und gesellschaftlichen Umstände der Tat.

Als sich 26 Kolping-Gesellen am 06. Mai 1919 in ihrem Vereinslokal in der Münchner Augustenstraße versammeln, um ein Theaterstück zu besprechen, das der Gesellenverein aufführen möchte, ahnen sie nicht, dass die meisten von ihnen das Treffen nicht überleben werden. Völlig überraschend stürmen Freikorps- und Regierungssoldaten das Lokal. Sie behaupten, die Gesellen seien Spartakisten und hätten eine verbotene Versammlung abgehalten. Obwohl die Gesellen das dementieren, werden sie abgeführt und in ein Arrestgebäude am Karolinenplatz getrieben. Dort werden sie in einer regelrechten Gewaltorgie brutal zusammengeschlagen und schließlich auf dem Hof und im Keller erstochen oder erschossen.

Der Gesellenmord sei für die historische Aufarbeitung der Monate nach dem Sturz der bayerischen Monarchie von großer Bedeutung, erklärt der Münchner Historiker und frühere Generaldirektor der Staatlichen Archive Bayerns, Hermann Rumschöttel. Er markiere vor allem einen Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der Gewalt gegen die Revolutionäre. Der Skandal, dass mit den Kolping-Gesellen Unschuldige getötet werden, lässt sich anders als bei früheren Morddelikten nicht verschleiern. Die Sache kommt sogar vor Gericht. Der Prozess habe sich aber nur auf nachgeordnete Soldaten beschränkt, die Offiziere seien unbehelligt geblieben. Somit sei die rechtliche Aufarbeitung des Gesellenmordes „kein Ruhmesblatt der bayerischen Justiz“ in den Anfängen des Freistaates Bayern gewesen, so Rumschöttel.

Immerhin leitet der Gesellenmord das „Ende der Gründungsmassaker der Bamberger Republik“ ein, andererseits ist er gewissermaßen schon ein Vorgeschmack auf die Radikalisierung der Gesellschaft, die sich später Bahn bricht. Ein massiver Antisemitismus und ein Erstarken antidemokratischer Parteien seien die direkten Folgen der Bürgerkriegszeit, so Rumschöttel. Insofern mahne der Gesellenmord uns auch heute, bei radikalen Ideologien wachsam zu sein. Er zeige letzten Endes, „wie dünn die Krume der Kultur in unserer Gesellschaft ist, wie gefährdet sie immer ist und wie sorgfältig man mit ihr umgehen muss“.

Text: Paul Hasel, Münchner Kirchenradio

Der Beitrag im Münchner Kirchenradio kann hier angehört werden:

https://radio.mk-online.de/fileadmin/user_upload/news/contentstation/3005KolpingstundeGesellenmord_02.mp3