Geschichte der Kolpingsfamilie Kaufbeuren
Aus unseren Protokollbüchern von 1853 - 1899
1853
Der Schneidergeselle Ignaz Dill(i) sammelte Unterschriften von Gesellen, die bereit waren einem Gesellenverein beizutreten. Im Gasthaus “Wies” trafen sich unter der Leitung des Spenglergesellen Theodor Ruschitzka 36 Gesellen, die beschlossen “über die zu verfassenden Statuten zu beraten”. Am 10. Juli 1853 wurde der Gesellenverein Kaufbeuren von mehr als 80 anwesenden Gesellen gegründet; zum Vorstand wurde Theodor Ruschitzka gewählt. Als Gründerpräses wird Prof. Manchinger erwähnt.
Im Gründerjahr begann bereits der regelmäßige Unterricht, meistens durch die Professoren Krumm und Weinhart, in Geografie, Rechtschreibung, Zeichnen und Gesang. Bei der für jedes Halbjahr neu durchgeführten Wahl des Vorstandes und eines Ausschusses wurde als Präses Professor Johann Georg Weinhart und als neuer Vorstand Fidel Gebath gewählt.
1854
Zum Jahreswechsel wurden erste Kontakte zu den Gesellen in Mindelheim auf- und später an deren Gründungsfest teilgenommen. In diesem Jahr wechselte der Vorstand von Fidel Gebath auf Xaver Kraft, dann auf Theodor Ruschitzka und zuletzt wurde Georg Börger neuer Vorstand. Bei der ersten Jahrfeier, so vermerkt die Chronik, war ein Mitglied des Kölner Gesellenvereins anwesend, der sich geäußert haben soll, “dass das ganze Fest nach dem Sinne Vater Colpings gehalten sei”.
1855
Im Winter wurde durch Spenden von Geistlichkeit und Bürgern eine eigene Bibliothek aufgebaut und zu Fasching Theater gespielt. Bei der Fronleichnamsprozession wurde die neu angeschaffte Kirchenfahne erstmals verwendet.
1856
Zu Fasching fand ein Maskenzug der Gesellen statt. Josef Mayer wurde zum Vorstand gewählt und bei der großen Dreijahrfeier wurde in Anwesenheit von “Centralpräses” Mayer aus München sowie Delegierten aus München, Mindelheim, (Markt) Oberdorf und Weißenhorn erstmals der Bau eines eigenen Hauses erwähnt. Der Erlös der Theatervorstellungen und die Spenden der Gesellen wurden für das Gesellenhaus verwendet.
Bericht über das Stiftungsfest des Gesellenvereins vom 24. Juni 1856, erschienen in den Rheinischen Volksblättern.
1857
Im August begannen die Bauarbeiten zum Gesellenhaus, Mitte September war Richtfest und am 15. November der Einzug in das neue Haus. Die letzten Arbeiten dazu wurden bis tief in die Nacht verrichtet. Die Einweihung war ein großes Fest, an dem die Gesellenvereine aus München, Augsburg, Weißenhorn, Mindelheim, (Markt) Oberdorf, Weilheim und Landsberg teilnahmen. Festprediger war Dompfarrer Deer aus Augsburg, der auch die Weihe des neuen Gesellenhauses vornahm. Als erster Hausmeister für das von den Gesellen rege besuchte Gesellenhaus wurde der Schuhmachergeselle Georg Kempf beschäftigt.
1858
Höhepunkt des Jahres war ein Kurzbesuch Adolph Kolpings beim Gesellenverein Kaufbeuren. Von Mindelheim kommend, nahm er anerkennend das neue Gesellenhaus in Augenschein. Auch die Bürger der Stadt und die Gönner des Vereins kamen in das Gesellenhaus, um den Mann kennenzulernen, “der so großes zu tun unternommen hat”.
1859/60
Bedingt durch Unruhen in Italien wurde so mancher Geselle von Kaufbeuren weg in die Nähe seiner Heimat gerufen. Bei den halbjährlich stattfindenden Vorstandswahlen wurden die Brüder Melchior und Caspar Guggemos zu Vorständen gewählt.
1861
Professor Martin übernahm den Gesangsunterricht und für den neu gegründeten Schützenverein wurde für 18 Gulden ein Zimmerstutzen angeschafft. Im Sommer wurden mehrere Ausflüge gemacht, wovon der nach Baisweil als besonders gelungen vermerkt wurde. Die Vorstandschaft ging von Theodor Guggemos auf Johann Schreiber über.
1862/63
Die Jahre verliefen ruhig. Nachdem Caspar Guggemos wieder Vorstand wurde, hatte danach Franz Fritz das Amt inne. 1863 wählte man erstmals einen 2. Vorstand. Dieses Amt erhielt Caspar Guggemos. Das 10-jährige Stiftungsfest wurde zweimal gefeiert, einmal im kleinen Rahmen am 23. Juni 1863 und im großen Rahmen zusammen mit zahlreichen Abordnungen der benachbarten Gesellenvereine am 15. August 1863. Der Saal der “Sonne” konnte die vielen Gäste kaum fassen. Es wurden zahlreiche Reden gehalten und Lieder gesungen, “so dass die Stunden wie Augenblicke dahinflogen”. Um Mitternacht ging die Geistlichkeit heim und die Gäste und Gesellen machten von der bewilligten Verlängerung der Polizeistunde Gebrauch. Nicht die geringste Störung fiel an, vielmehr “zeigten sich die Gesellen artig und zuvorkommend”.
1864 – 1873
Aus der Bürgerschaft und den königlichen Beamten wurden Ehrenmitglieder gewonnen, die für die Unterhaltung des Gesellenhauses „Unterstützung reichten“. Welch segensreiche Einrichtung das Gesellenhaus darstellte, erwies sich im Jahre 1866, als der Verein nach den Schlachten im bayerisch-preußischem Krieg bei Königgrätz und Kissingen sein „Lokal“ für die verwundeten Soldaten als Lazarett anbot. Auch bei den auswärtigen Gesellen war das Haus beliebt, schon 1866 erhielten „250 durchreisende Gesellen Herberge und ein kleines Abendessen“. Aus Anlass des 10-jährigen Jubiläums der Hauseinweihung wurde das Gesellenhaus renoviert; zur Feier erschienen Gesellenvereine aus Kempten, Augsburg und Landsberg sowie Diözesanpräses Ponholzer aus Augsburg. Durch Lehrer Schwab wurde die in den Anfangsjahren eingeleitete Bildungsarbeit wieder aufgenommen und in den Wintermonaten an den Sonntagabenden Unterricht im Briefeschreiben erteilt. „Jedoch lieber saßen die Gesellen im Wirtshaus oder schwärmten nächtens umher“, wurde im Protokollbuch beklagt. Im Sommer 1870 wurden nur noch 26 Mitglieder gezählt, „indem mehrere dem Rufe des Königs, im Krieg mit Preußen gegen das übermüthige Frankreich folgten“. Weiterhin wurde von wenig Weiterbildung „in gemeinnützigen Gegenständen“ im Protokollbuch berichtet. Auch sollte der Präses alleine und ohne Unterstützung gewesen sein. Beklagt wurde, dass der Gesellenverein wenig Erfreuliches bietet, dafür mehr Anlass zu Verdruss und nur wenige ordentliche Gesellen dabei seien, „die durch ihren Charakter, Fleiß, Sparsamkeit, Sittlichkeit auf andere gut einwirken“. Trotz dieser Klagen war die Zahl der Mitglieder Anfang 1871 mit 60 so hoch, wie sie lange nicht mehr erreicht wurde.
1874 – 1883
Die Unstimmigkeiten im Verein hielten weiter an, so dass 1874 eine Generalversammlung einberufen wurde. Von einem Rücktritt des Präses wurde im Protokoll nichts erwähnt, doch der Hinweis auf einen „verwaisten Verein“, der bald wieder einen neuen geistlichen Führer erhalten möge, „damit wir nicht Schiffbruch erleiden“, lässt den Schluss zu, dass der Präses aufgrund der Unstimmigkeiten tatsächlich zurückgetreten ist oder versetzt wurde. Bei der Neuwahl wurde der bisherige Vorstand „Führer Rimmele“ im Amt bestätigt. Danach trat Ruhe in das Vereinsleben und die Chronik berichtet von einem „neuen begeisterten Aufleben des Vereins, wie es lange nicht mehr der Fall war“. Nach zweijähriger „Sedisvakanz“ wurde bei der Josefsfeier 1886 der Studienlehrer Carl Link als neuer Präses eingeführt. „Abends sodann feierte man diesen Tag mit einer anständigen, dem Tage anpassenden Festlichkeit.“ Die Feier des 25. Stiftungsfestes wurde in Anwesenheit vieler Ehrengäste und Mitglieder von auswärtigen Vereinen festlich begangen. Der Chronik nach war diese Feier für die damaligen Verhältnisse ein außergewöhnliches Ereignis, dessen Kosten nach dem „Cassabericht“ 374 Mark und 45 Pfennige betrugen. Im Januar 1879 findet sich im Protokollbuch der erste Eintrag mit einem Hinweis auf die „an jedem 1. Montag des Monats stattfindende Monatsversammlung, zu der auch die Herren Ehrenmitglieder eingeladen werden“. Im gleichen Jahr stellte sich der Präses gegen den Faschingball und begründete dies unter anderem: „Der Hl. Franz von Sales sagt, der beste der Bälle ist nichts Nutz; die Erfahrung zeigt, dass die Gesellen bei den früheren Bällen stets moralischen Schaden genommen; viele der Gesellen können nicht tanzen oder sind zu jung“. Es wurde dafür eine Theatervorstellung vorgeschlagen, „die der Cassa nützt und die Gesellen passend beschäftigt“. Der Vorschlag wurde angenommen, obwohl die Gesellen nicht ganz dahinter standen. 1879 wurde im Hof des Vereinshauses ein Gartenhaus erbaut und zu Christi Himmelfahrt eingeweiht. Im selben Jahr berichtet die Chronik von vier protestantischen Mitgliedern ohne Stimmrecht und der Nichtaufnahme eines Altkatholiken aus Kempten, „weil er nicht vorher aus seiner Sekte ausgetreten sei“. Wieder traten Schwierigkeiten im Verein auf, die darin gipfelten, dass 1880 der Vorstand Bögner mit der Hälfte der Mitglieder den Gesellenverein verließ. Gegen den Präses setzte eine Hetze ein. Ursächlich für die Schwierigkeiten im Verein war ein Streit zwischen Bürgerssöhnen und Gesellen, der vom Präses dadurch eingedämmt wurde, indem er sich auf die Statuten berief und Nichthandwerker nur noch außerordentliche Mitglieder und nicht in den Ausschuss (Vorstandschaft) gewählt wurden. Doch auch das brachte noch nicht ausreichend Ruhe in den Verein, so dass wegen Meinungsverschiedenheiten mit dem Präses der nächste Vorsitzende (Führer) austrat. Auch das Jahr 1881 war von Unruhe im Gesellenverein gekennzeichnet. Erst nachdem am Jahresende untaugliche Ehrenmitglieder entfernt und der Verein auf 12 Mitglieder dezimiert wurde, kehrte langsam Ruhe ein. Zu Fasching 1883 wurde wieder ein Tanzkränzchen veranstaltet, jedoch wurde es vom Präses mit verschiedenen Auflagen belegt, unter anderem durfte kein Mädchen zum Tanze gebracht werden, das nicht vorher dem Ausschuss genannt und von diesem gebilligt wurde; außerdem mussten alle Mädchen gemeinsam und ohne Begleitung der Gesellen nach Hause gehen. Einige Gesellen (sechs werden namentlich genannt) übertraten jedoch diese Auflagen. Mit einem Gartenfest mit Lampionbeleuchtung und Feuerwerk wurde im Sommer 1883 das 30. Stiftungsfest des Gesellenvereins begangen.
1884 – 1893
Weiterhin bewegte die Gestaltung des Faschings-Tanzkränzchen die Gemüter. Da der Präses an den Vorgaben des Vorjahres festhielt, verzichten die Gesellen lieber auf das Tanzkränzchen, anstatt danach ohne ihre Mädchen nach Hause zu gehen. Dafür wurde „eine kleine maskierte Kneippe gehalten, bei der man auch fröhlich sein konnte“. Dieses Ereignis im Fasching 1884 dürfte die erste „Zylinderkneipe” des Gesellenvereins Kaufbeuren gewesen sein. Nachdem eine Theateraufführung am Josefitag Anlass zu einer Schlägerei mit einigen Gesellen gab, wurden die beteiligten Mitglieder aus dem Gesellenverein ausgeschlossen und die Mitgliederzahl sank um ein Viertel. Weitergehende Spannungen im Verein veranlassten den Präses, einen Schutzvorstand aus 5 Ehrenmitgliedern zu gründen, der als Vermittler und Verbindung zu den Gesellen fungierte. Dadurch kehrte in den folgenden Jahren langsam wieder Ruhe ein. Im Sommer 1887 wird der Erweiterungsbau am Gesellenhaus begonnen, da sich der Saal bei den vielen Theatervorstellungen als zu klein erwies. Im Jahr 1888 mehrten sich die Aufführungen, um die Schulden des im Herbst des Vorjahres fertig gestellten Ausbaus tilgen zu können. Bis 1892 wurden damit 1.200 Mark Bauschulden abgetragen. Das Brennmaterial für das Gesellenhaus musste weiterhin erbettelt werden. Die Holz- und Wasenbettelfahrten führten neben Apfeltrang auch nach Ödwang und Osterzell. Ohne spektakuläre Ereignisse wurde im Sommer 1893 das 40. Gründungsfest gefeiert.
1894 – 1899
Im Jahr 1895 bemühte sich der damalige Präses Demeler eine Annäherung zwischen Beamten- und Handwerkerstand herbeizuführen, indem er zum ersten Mal durch Zirkulare die Herren Beamten und Honoratioren der Stadt zu einem eigenen Herrenabend einlud. Im Juli 1897 verstarb das Gründungsmitglied und 1. Vorstand Theodor Ruschitzka. Großen Eifer zeigten die Gesellen bei der Fortbildung. Der im Winter 1887/1888 jeweils Freitag Abend von Präses Demeler erteilte Unterricht in Buchführung wurde von ca. 60. Gesellen besucht. Im Jahre 1898 wurde unter Beteiligung vieler Gesellenvereine aus der Nähe die neue Vereinsfahne geweiht. Die Kosten dafür betrugen stolze 1.040 Mark.