Chronik

Bedrängnis und Bewährung (1933 - 1945)

Textauszüge aus der Festschrift “100 Jahre Kolpingsfamilie Gundelsheim” zum Jubiläum 1995

Bedrängnis und Bewährung

Eine “neue” Zeit zog herauf, freilich eine andere als die in den Fahrten- und Wanderliedern besungene. Am 30.01.1933 ernannte Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler, vom 23.03. an verfügte dieser nach Annahme des Ermächtigungsgesetzes über diktatorische Vollmachten – und die Gleichschaltung aller Bereiche des öffentlichen Lebens setzte ein.

Auf katholischer Seite hofften die Bischöfe zunächst noch, dass das zwischen der deutschen Regierung und dem Vatikan am 02.07.1933 abgeschlossene Reichskonkordat die freie und öffentliche Religionsausübung gewährleisten würde. Auch den kirchlichen Verbänden würde daraus ein gewisser Schutz vor staatlichern Übergriffen erwachsen., so meinte man jedenfalls. Gleichzeitig vermieden viele Diözesanleitungen scharfe offene Auseinandersetzungen. Nicht selten hieß dies nachgeben oder diplomatisch taktieren.

In Gundelsheim haben Präses Heberle und die Vorstandschaft des Katholischen Gesellenvereins in den politischen Auseinandersetzungen jener Jahre schon bald klar Stellung bezogen. Im Frühjahr 1931 etwa wurde festgelegt, solche Mitglieder auszuschließen, welche eine für den 16. März angekündigte NSDAP-Versammlung besuchen würden. Wenige Wochen vorher war der Gasthof “Zum Löwen” als Vereinslokal bestimmt worden. Nun verließ man ihn demonstrativ wieder, weil der Löwenwirt diese Versammlung der Hitlerpartei in seinen Räumen zugelassen hatte. Von jetzt an wurde die Gaststätte “Gambrinus” von Josef und Julie Hasselberger ständiges Vereinslokal – bis 1965. Ein Wechsel, den die Kolpingsfamilie nie hat bereuen müssen.

Präses Heberle hat im gleichen Monat noch die Mitglieder zusammengerufen und seinen Standpunkt verdeutlicht. Er muss es mit großer Überzeugungskraft getan haben, wie der Vermerk des damaligen Schriftführers im Vereinsprotokoll vermuten lässt: “Er legte uns klar vor Augen, dass das Wollen des kath. Gesellenvereins, so wie es in seinem Programm niedergelegt ist, sich nicht mit den Bestrebungen und Zielen der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei vereinbaren lässt. Deshalb kann ein Sohn Adolf Kolpings nicht zu gleicher Zeit Gefolgsmann Adolf Hitlers sein. Katholizismus und Nationalsozialismus sind nicht miteinander vereinbar …”

Als  nach der Machtergreifung Hitlers auch auf dem Gundelsheimer Rathaus die NSDAP das Sagen hatte, erfolgte postwendend von dort die Reaktion in Form von Schikanen und massiven Drohungen.  hauptakteure waren der NS-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Illig sowie – im Kampf um die Jugendlichen – der offenbar überaus linientreue Lehrer Kucher.

Schon am 22.03.1933 werden Kaplan Heberle und Senior Eduard Nenninger auf das Rathaus zitiert und von einem Kommissar Dr. Sommer aus Heilbronn “wegen ihrer politischen Einstellung” scharf verwarnt. Rechtfertigen durften sie sich nicht. Der Senior war zu dieser Einschüchterungsaktion eigens von einer Eskorte aus zwei SA-Männern und einem Polizeibeamten abgeholt worden. Im Verlauf dieser Maßnahme drohte man schließlich “den Heuberg” an, eines der neu geschaffenen Konzentrationslager, in welche damals politische Gegner gebracht wurden.

Im Juli 1933 mussten der Gesellenverein und die katholische Mädchenvereinigung Constantia ihre Habseligkeiten und ihre schriiftlichen Unterlagen zur Überprüfung abgeben. Sie konnten nach zwei Wochen wieder abgeholt werden. Kurz darauf erzwang die SA die Aufhebung eines Zeltlagers, das unter Führung des Seniors an der Bachmühle bei Höchstberg durchgeführt werden sollte.

Am 27. September kam es dann zum spektakulären Überfall auf das Pfarrhaus, bei dem Stadtpfarrer Dettinger bedroht und in rüder Weise beschimpft wurde. Natürlich war der Schein gewahrt worden, der an diesem inszenierten “Volkszorn” beteiligte Mob kam von außerhalb. Als Drahtzieher dahinter muss Ortsgruppenleiter Illig vermutet werden. Mit ihm hatte Dettinger kurze Zeit zuvor im Pfarrhaus eien Auseinandersetzung. Er hat Illig auf Vorgänge hingewiesen, die das Verhältnis von Staat und Kirche belasteten. U. a., dass die katholische “Unterländer Zeitung” zu Unrecht verboten worden sein und dass bei den Gautagen des BDM (-> Bund deutscher Mädel) die Teilnehmerinnen keine Gelegenheit erhielten, ihrer Sonntagspflicht nachzukommen.

Da die Anfeindungen nicht verstummten, sodass es beherzte Männer für sicherer hielten, zeitweise das Pfarrhaus zu bewachen, reichte der 73jährige Stadtpfarrer am 28. November ein Gesuch um Pensionierung ein. Das bischöfliche Ordinariat wollte die Lage entschärfen und willigte ein, entgegen der Empfehlung des zuständigen Dekans Breitweg aus Kochertürn. Nach 27 Amtsjahren verließ Stadtpfarrer Dettinger schließlich am “Weißen Sonntag” 1934 Gundelsheim, eine öffentliche Abschiedsfeier hatte er abgelehnt. Trotzdem wurde sein Abschied zur eindrucksvollen Demonstration, wie ein Bericht der “Unterländer Zeitung” vom 09.04.1934 zu erkennen gibt:

“Am Nachmittag nach der Andacht hielt der HH. Stadtpfarrer Dettinger in der Stadtpfarrkirche noch eine kurze, schlichte Ansprache und erteilte der versammelten Pfarrgemeinde seinen letzten Segen. Das ganze kath. Volk und die kath. Jugendorganisationen mit Kluften, Vereinskleidern, Bannern und Wimpeln füllten den Kirchenplatz und die Hauptstraße vor der Kirche aus. Als letzte Huldigung an den HH. Stadtpfarrer sangen die Jugendorganisationen das Lied ‘Lasst die Banner wehen!’ und brachen in ein dreifaches, kräftiges ‘Treu Heil!’ aus. Wer diesen schlichten Abschied des Seelsorgers von seinen Pfarrkindern miterlebt hat, wo kaum ein Auge trocken blieb, der wusste: das war Volkes Stimme!”

Einen neuen Höhepunkt erreichten die Angriffe des Ortsgruppenleiters, als ein Brief des in der kath. Jugendarbeit sehr engagierten Josef Maier (Buchbinder) an einen Hitlerjungen der örtlichen Parteileitung zugespielt worden war. Illig beschuldigte öffentlich in einer Rede die “schwarzen Brüder” “aus dem ehemaligen Zentrumslager” der “Wühlarbeit”, er warf ihnen vor, die Volksgemeinschaft “bewusst zu sabotieren”, und er drohte mit Repressalien (-> siehe Artikel der NS-Zeitung “Heilbronner Tagblatt” 1934, gekürzt). Josef Maier wurde abgeholt und zuerst drei Tage und dann weitere zwei Wochen in sogenannte “Schutzhaft” genommen.

Man musste vorsichtiger sein, aber die Arbeit im Gesellenverein ging weiter. Im Mai 1934 traten Neckarsulmer, Gundelsheimer und Mosbacher Teilnehmer eine Wallfahrt zum Kolpinggrab nach Köln an. Um am 16. September kamen “Männer und Jungmänner” aus der ganzen Umgebung zur Wallfahrt auf den Michaelsberg und nach Gundelsheim. Ein Bekenntnistag mit 500 bis 600 Teilnehmern; die Organisation lag beim Gesellenverein und dessen Senior Eduard Nenninger. Jugendkaplan Schmid aus Neckarsulm hat dabei das neue Kolpingbanner geweiht.

Ende 1935 verließ der beliebte, tatkräftige Präses Julius Heberle Gundelsheim, er ging als Stadtpfarrer nach Bietigheim. Ein wahrlich herber Verlust für den Gesellenverein. Nachfolger wurden unter erschwerten Bedingungen die Kapläne Leo Keilbach (03/1936 – Sommer 1938) sowie Gustav Bolsinger (05/1939 – 11/1940). Leo Keilbach beschreibt später als Geistlicher Rat i. R. seine damaligen Erfahrungen mit Worten voller Anerkennung: “Gerne denke ich an meine Kaplanszeit in Gundelsheim. Das örtliche Naziregime stand in ‘Hochblüte’. Jung- und Altkolping haben in diesen Jahren harten Kampfes ihre Feuerprobe bestanden. Wir waren ein Herz und eine Seele, unbeugsam gegenüber allen Schikanen und Anfeindungen von Seiten der Partei … Das Glaubenszeugnis der Kolpingsfamilie in jenen Jahren bleibt ein Ruhmesblatt in der Geschichte des Vereins und der Pfarrgemeinde. Das Gleiche gilt für die Frauenjugend jener Jahre.” (Brief vom 20.11.1985 an Präses Adolf Schuhmacher).

Auffallend ist, dass in den Vereinsunterlagen des Gesellenvereins aus der Zeit der NS-Herrschaft Stadtpfarrer Julius Retzbach, seit 1935 der Amtsnachfolger Dettingers, kaum erwähnt wird. Er war eher auf Ausgleich aus und bemüht, alles zu vermeiden, was zu einer Konfrontation mit der örtlichen Parteispitze hätte führen können. In diesem Zusammenhang darf auch nicht vergessen werden, dass die meisten Jugendlichen und Erwachsenen der Gemeinde in irgendeiner Weise von der NSDAP und ihren Untergliederungen “erfasst” waren. Und nicht immer stand nur staatlicher Zwang dahinter, die wirtschaftlichen und außenpolitischen Erfolge des Regimes haben vielfach Vorbehalte verschwinden lassen. Im übrigen war die “öffentliche Meinung” gelenkt, standen Presse, Rundfunk und Film im Dienst der Propaganda.

Den konfessionellen Vereinen war von Juli 1935 an jede Betätigung, die nicht kirchlich-reigiöser Art war, untersagt. Die Zusammenkünfte durften nur mehr in kircheneigenen Räumen abgehalten werden. Darum fanden die Gruppenabende des Gesellenvereins zunächst in Privatwohnungen oder im Kaplaneihaus sowie in der Kirche statt, zeitweise hatte man, um der Form Genüge zu tun, einen Raum bei Otto Englisch angemietet. Seit Oktober 1939 traf man sich auch im “Messmerhaus”, einem kleinen Gebäude an der Heilbronner Straße, das in den Besitz der katholischen Kirchengemeinde gelangt war.

In diese Zeit fällt auch die Namensänderung des Vereins. Die Zentralversammlung in Köln hatte beschlossen, den “Katholischen Gesellenverein” in “Deutsche Kolpingsfamilie” umzubenennen. Hintergrund waren die anhaltenden Pressionen, wegen der viele mitglieder aus Existenzangst den Gesellenverein verließen. Dieser Entscheidungsdruck kam zustande, weil die politischen Stellen verfügt hatten, dass es keine Doppelmitgliedschaften in einem kirchlichen Verein und in der Hitlerjugend geben dürfe, auch keine Doppelmitgliedschaft im Katholischen Gesellenverein und in der Deutschen Arbeitsfront, der Einheitsorganisation, in der nach Auflösung der freien Gewerkschaften die Gleichschaltung der organisierten Arbeiterschaft vollzogen wurde.

Dann brach mit dem Angriff auf Polen am 01.09.1939 der Zweite Weltkrieg aus. “Wieder müssen vier unserer Kolpingsöhne einrücken, der Haufen wird kleiner”, vermerkt der Schriftführer im September 1940 im Protokollbuch der Kolpingsfamilie Gundelsheim, schließlich blieben nur wenige übrig. Mit Päckchen anfangs und mit Briefen suchte man untereinander Kontakt zu halten. Eine stattliche Anzahl Feldpostbriefe, aufbewahrt im Archivschrank des Vereins, ist heute noch erhalten. Zum Beispiel ein Schreiben von Otto Greiß vom 22.04.1941 aus Russland an Senior Anton Schmötzer: “Liebe Kolpingsbrüder! Herzlichen Dank für eueren lieben Ostergruß aus der Heimat. Es freut mich halt immer, wenn ich lese, wie ihr treu und brav zusammenhaltet. Jetzt seid ihr auch Kämpfer. Ihr müsst die Stellung halten in der Gemeinde, bis wir einmal wieder heimkommen. Dass das nicht leicht ist, besonders in Gundelsheim, glaube ich gern. Aber nur nicht unterkriegen lassen. So schön wie im gemütlichen Schwabenländchen ist es doch nirgends. Dort sollten wir halt einquartiert sein. Aber es kann ja nicht sein. Wir sind ja Kolpingssöhne und erfüllen als solche treu unsere Pflichten gegenüber dem Vaterland … Grüß euch alle herzlich mit Treu Kolping.” (Der Verfasser ist am 02.04.1945 bei Lohr am Main gefallen).

Ab Juli 1941 war man ohne Präses. Kaplan Gustav Bolsinger war im November 1940 nach Wurmlingen versetzt worden, und es sprang Pfarrer Alfons Bopp aus Tiefenbach ein. Seine Zeit als Präses fand aber ein schnelles Ende. Er musste sich nach einer Anzeige des Lehrers Kucher, die bis zur Gestapo ging, aus Gundelsheim zurückziehen – eine Entscheidung, die auch Generalvikar Kottmann “bei den gegenwärtigen Verhältnissen” für ratsam hielt.

Im Zweiten Weltkrieg sind 16 Kolpingssöhne gefallen oder werden vermisst:

Thomas Bender, Alfons Greiß,  Heinrich Greiß, Otto Greiß, Paul Greiß, Anton Heidinger, Wilhelm Innenmoser, Anton Klimm, Josef Klimm, Bernhard Kunz, Theodor Lierheimer, Max Mittmann, Johann Müller,  Anton Mutterer, Georg Rieg, Josef Stegmayer