Man merkt Molières Komödie „Der eingebildete Kranke“ ihr gesetztes Alter an vielerlei Stellen durchaus an – das Werk entstand zur Zeit des berühmten „Sonnenkönigs“.
Gleich zu Beginn schmeißen sich deftig zwei der Protagonisten maximal unflätige Beschimpfungen an den Kopf: zum einen der „kranke“ Argan (herrlich mutig und schamfrei seine Rolle im überdimensionalen Strampelanzug auskostend Martin Lederle), zum anderen die Dienstmagd Toinette (Sigrid Holuba), in Wahrheit eher die clevere und lebenserfahrene wahre Herrin des Hausstandes. So fragt man sich nach drei Minuten: Geht das so weiter? Nein, geht es nicht, denn Molière ist Molière, und er zeichnet seine Figuren oft geistreich und mit feiner satirischer Eleganz.
Da ist, wie gesagt, der eingebildete Kranke Argan, der wie ein kleiner Sonnenkönig im eigenen Hause herrscht und zugleich höchst infantil um maximale Fürsorge heischt. Seine zweite Gattin Beline – herrlich spitz und intrigant Brigitte Müller – nennt er psychologisch treffend und nicht grundlos „Mamam“. Natürlich vertraut er kritiklos der ihn umkreisenden Ärzteschar – herrlich blasiert schwafelnde Achmad Simo als Monsieur Diafoirus senior sowie Max Walter als Monsieur Purgon, der, um den Charakterzug der beleidigten Leberwurst ergänzt, dem Stück den Anstoß zur letzten Wendung gibt. Mehr sei hier nicht verraten.
Und da sind die Heiratspläne der jungen Liebenden, die so gar nicht mit den ebenso praktisch gedachten wie reichlich egoistischen Wünschen des Vaters nach einem Arzt als Schwiegersohn d’accord gehen: Julia Nehrke als ältere Tochter Angelique, die so gern ihren Cleante (Martin Schmalholz begeisterte mit wallender Künstlermähne, vor allem aber variantenreicher Deklamationskunst) heiraten würde.
Argan sähe lieber Thomas Diafoirus junior (erstmals auf der Kolpingbühne: Paul Lederle) an der Seite der Tochter am Traualtar, der allerdings dermaßen verpeilt agiert, dass er erstmal seine vermeintliche Braut als zukünftige Schwiegermutter anspricht – kurz: trotz erlesen-verschwurbelter Wortwahl wahrlich nicht das hellste Licht auf der Torte.
Umgeben wird dieses Setting von weiteren Nebenrollen: Da ist Angeliques jüngere Schwester Louison – hier ist mit Julia Kisner ein neues Gesicht auf der Kolpingbühne zu sehen. Sie wird vom Vater gezwungen, Spitzeldienste zu leisten. Außerdem Andreas Gerhardt in der Doppelrolle als Notar Bonnefoy (hier mit hübsch rheinhessisch bis badisch klingendem Zungenschlag), der zusammen mit Argans Ehefrau Beline, die gern endlich erben würde, ganz eigene Interessen verfolgt, und andererseits als Argans Bruder Beralde, der ihm den Kopf wäscht und klipp und klar feststellt, er sei gar nicht krank, sondern vielmehr das, was man als „pumperlgsund“ bezeichnen würde.
Bleibt noch Sina Lederle als Monsieur Fleurant, Argans Apotheker. Sie hatte bereits zu Beginn einen großen Auftritt – leider leicht indisponiert – als Chansonnière mit Edith Piafs „Sous le ciel de Paris“. Überhaupt hatte man sich bei dieser Inszenierung viel Mühe gemacht mit Schauspielmusik: Christian Wetzel (Gitarre und Schlagwerk) unterlegte mit feinem Gespür, nie aufdringlich, das Bühnengeschehen mit atmosphärischen Klängen und Sounds.
Etwas Besonderes war auch die Szenerie kurz vor der Pause: Die Handlung wird in einem Schäferspiel gespiegelt, und Julia Nehrke und Martin Schmalholz aktualisierten dieses wild, aber überzeugend in gerappter Form.
Alles in allem: eine weitere Wendung in einer wie gewohnt professionellen wie intelligenten Regieleistung von Paula Dempsey, die ihre Darsteller gekonnt durch den teils sperrigen Stoff rund um Lügen, Betrug und Loyalität führte. Ein Schelm, dem hier und da Gedanken an heutige (unreife) Möchtegern-Sonnenkönige wie Trump oder an diverse Finanztricksereien der vergangenen Jahre kamen … (Lucia Buch/Buchloer Zeitung)