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Rheingau

Portrait Adolf Kolping
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Ingo Schon, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung Eltville (links) und Prof. Utz Schäffer vom Leitungsteam der Kolpingfamilie Eltville - hier in der Schwalbacher Straße - gaben Erläuterungen zu den in Eltville verlegten Stolpersteinen und machten das Schicksal der Menschen lebendig, derer damit gedacht wird.

Auch hier im Rheingau, auch hier in Eltville: Kolpingsfamilie erinnert an Judenverfolgung

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Sie hießen Bach, Berg, Demmler, Ditter, Eis, Ensgraber, Heyum, Israel, Kilsbach, Mannheimer, Müller, Neumann, Oppenheimer, Pohl, Rosskopf und Simons. Sie wurden von ihrer Familie, Freunden, Bekannten, Kollegen und Nachbarn Bernhard, Hertha, Karl, Fritz, Frieda, Betty, Moritz, Walter, Julius, Ella oder Lore gerufen, um nur einige von ihnen zu nennen. Sie lebten in Eltville als Nachbarn, Kollegen, Freunde – als Bürger dieser Stadt. Bis die sogenannte Machtergreifung am 31. Januar 1933 dem Unrechtsystem der Nazis Tür und Tor öffnete. Menschen wurden ausgegrenzt, gedemütigt, vertrieben, verfolgt, ihres Eigentums beraubt, inhaftiert, gefoltert, in den Selbstmord getrieben oder ermordet.

Auch hier im Rheingau, auch in Eltville.

Zumeist betraf es Juden – aber nicht nur. Es waren neben Juden Sinti und Roma, Homosexuelle, Andersdenkende, politische Gegner, Menschen mit Behinderung und Kranke, die zur Zielscheibe und Opfer des unmenschlichen Naziregimes wurden.

Um den Gedenken an die Opfer des NS-Regimes in Eltville einen Raum zu geben, verlegte die Stadt Eltville zwischen 2015 und 2021 in vier Stadtteilen 54 Stolpersteine, die über private Spenden finanziert wurden. Acht Stationen mit Stolpersteinen besuchten etwa 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Veranstaltung der Kolpingfamilie Eltville am vergangenen Dienstag.

54 Stolpersteine in vier Eltviller Stadtteilen wurden nach dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung im März 2015 bis 2021 verlegt.

54 Stolpersteine in vier Eltviller Stadtteilen wurden nach dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung im März 2015 bis 2021 verlegt.

Die Stadtverordnetenversammlung habe im März 2015 lange diskutiert, ob in Eltville Stolpersteine verlegt werden sollen, blickte Ingo Schon, Vorsitzender der Stadtverordnetenversammlung, anlässlich des Rundgangs der Kolpingfamilie zurück. So hatte zum Beispiel auch die seinerzeitige Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, diese Form des Gedenkens für nicht angemessen gehalten. Sie führte dabei eine falsche Signalwirkung an. Einige Menschen empfänden es als ungebührlich, nach dem unfassbaren Leid nun auch noch auf dem Andenken der Opfer „herumzutrampeln“.

Die Verantwortlichen in Eltville sind jedoch zu einer anderen Sichtweise gelangt: „Wer wie wir jetzt an Stolpersteinen steht und den Kopf nach unten senkt um den Text zu lesen, der verneigt sich automatisch vor den Verfolgten des Naziregimes“, machte Ingo Schon vor Ort augenscheinlich deutlich. Stolpersteine seien ein Zeichen des Gedenkens und der Versöhnung, das Passanten aufmerksam macht und im Idealfall zum Nachdenken und Innehalten bewegt – diese Beweggründe hätten schließlich den Ausschlag gegeben. Das Stadtparlament habe sich schlussendlich mit überragender Mehrheit für die Verlegung entschieden, erinnerte Ingo Schon sich zurück.

Die schier unglaubliche Dimension des Grauens mache die sogenannte Wagner-Bürckel-Aktion fassbar, erklärte der 46-jährige Rauenthaler. Die von Historikern so bezeichnete „Aktion“ beschreibt eine der allerersten Deportationen von jüdischen Männern, Frauen und Kindern im Oktober 1940. Innerhalb von nur einer Nacht wurden 6.500 Menschen aus ihrer Heimat abtransportiert. „Das wäre so, als würde innerhalb von einem Tag ganz Rauenthal, Martinsthal und Erbach entvölkert“, zeigte Ingo Schon auf.

Wie es den Betroffenen in Eltville ergangenen war, schilderte Utz Schäffer vom Leitungsteam der Kolpingfamilie Eltville. An den verschiedenen acht Stationen – jeweils der letzte von den Opfern frei gewählte Wohnsitz – erinnerte Schäffer an sie und machte die Namen und Daten auf den quadratischen Messingtafeln in eindrücklicher Form für einen kurzen Moment lebendig. Aus Namen wurden Schicksale und Bezüge zu noch lebenden Angehörigen. Grundlage hierfür war, was der Historiker Dr. Sebastian Koch und Peter-Michael Eulberg vom Stadtarchiv Eltville im Auftrag der Stadt recherchiert und festgehalten haben. Zum Gedenken entzündete die Kolpingfamilie an jedem Haltepunkt eine Kerze.

80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hörten zu, wie Utz Schäffer vom Leitungsteam der Kolpingfamilie Eltville das Schicksal der Opfer für kurze Zeit lebendig werden ließ.

80 Teilnehmerinnen und Teilnehmer hörten zu, wie Utz Schäffer vom Leitungsteam der Kolpingfamilie Eltville das Schicksal der Opfer für kurze Zeit lebendig werden ließ.

Kolping-Präses Peter Fischer trug zum Abschluss an jeder Station Verse aus verschiedenen Psalmen vor und wies mit einer sogenannten Versehlampe den Weg durch den Abend zum nächsten Halt. Mit einer „Versehlampe“ machten sich früher katholische Priester bei Dunkelheit auf den Weg zu Menschen, um sie mit dem Sterbesakrament zu „versehen“.

Der Eltviller Kolping-Präses Peter Fischer verlas an jeder Station passenden Verse aus Psalmen der hebräischen Bibel (Altes Testament). Links neben ihm Andrea Schüller, die bei der Stadt Eltville als Projektleiterin für die Stolpersteine zuständig ist.

Der Eltviller Kolping-Präses Peter Fischer verlas an jeder Station passenden Verse aus Psalmen der hebräischen Bibel (Altes Testament). Links neben ihm Andrea Schüller, die bei der Stadt Eltville als Projektleiterin für die Stolpersteine zuständig ist.

„Das war ein berührender, ergreifender und wichtiger Abend“, fasste Bürgermeister Patrick Kunkel zum Schluss zusammen, was alle erlebt und gefühlt hatten. Er dankte Andrea Schüller, die das Projekt als Mitarbeiterin für die Stadt Eltville betreut und die sich zuvor sehr persönlich und ergreifend zu Wort gemeldet hatte. Patrick Kunkel dankte allen, die das Projekt ermöglicht haben, insbesondere den anwesenden Spendern und der Kolpingfamilie Eltville, die einen Abend gestaltet haben, den sicherlich keiner der Teilnehmerinnen und Teilnehmer so schnell vergessen wird.

Zum Abschluss klang der Rundgang mit dem bekannten jüdischen Friedenslied „Shalom chaverim, shalom chaverim, Shalom, shalom! Lehitraot, lehitraot, Shalom, shalom! (Übersetzung: Friede sei mit euch, Freunde! Friede, Friede.) aus.

Weitere Informationen zu den Stolpersteinen in Eltville unter folgendem Link.